Noch-Borealis-Chef Thomas Gangl wird im 2019 gegründeten Liberty-Stahlkonzern die führende Rolle übernehmen, die elf europäischen Standorte neu aufzustellen und möglichst bis 2030 auf grün produzierten Stahl umzustellen. Liberty-Gründer Sanjeev Gupta siedelt dafür das Europa-Headquarter in Wien an. „Bis 2030 wollen wir CO₂-neutral sein“, so Gangl. „Das ist eine unglaubliche Ansage.“ Die Herausforderung sei enorm, aber machbar. Genau das reize ihn an der Aufgabe. Liberty hat in 14 Ländern mehr als 200 Stahlstandorte und beschäftigt mehr als 30.000 Mitarbeiter, davon 18.000 in Europa. Die elf europäischen Stahlwerke hat Gupta zum großen Teil von der einst luxemburgischen Arcelor Mittal gekauft.

Der 52-jährige Oberösterreicher Gangl hat eine steile Karriere in der OMV hinter sich, der Diplom-Ingenieur brachte in dem Öl- und Gaskonzern die heute wichtigen Nachhaltigkeitsprojekte auf die Schiene. Seit 2020 ist er Chef der OMV-Chemie- und Kunststofftochter Borealis, die künftig Teil zusammen mit dem Abu Dhabi-Konzern Borouge zu einem riesigen Chemiekonzern geformt werden soll.

„Bild dieser Industrie wird sich sehr stark verändern“

Gupta ist ein Brite mit indischen Wurzeln, zu seinem zusammengekauften Konglomerat gehören auch Erzminen in Australien. Dort abbaubarer Magnetit sei wichtig für die grüne Stahlerzeugung, erklärt Gangl. Das Liberty-Headquarter ist in Dubai. Die Vereinigten Arabischen Emirate wollen sich in den nächsten Jahren auch zu einem Schwerindustrie-Standort entwickeln, mit Zugang zu billigem Grünstrom und Wasserstoff. In der Stahlindustrie ist es nicht unüblich, die CO₂-intensive Herstellung des Stahlvorprodukts HBI (Hot Briquetted Iron) auszulagern. Hier gilt Wasserstoff als die Lösung des CO₂-Problems. „Das Bild dieser Industrie wird sich sehr stark verändern“, ist Gangl überzeugt. Global ist die Stahlerzeugung für acht bis neun Prozent aller CO₂-Emissionen verantwortlich. Dass die Transformation insbesondere in Europa mit seinen hohen Kosten alles andere als einfach werde, sei für ihn der Grund gewesen, diesen beruflichen Schritt zu machen. „Im Endeffekt muss man Lösungen finden“, so Gangl. Das habe er als Kind mit sieben Geschwistern von klein auf gelernt.

Über Kooperationen soll ausreichend Grünstrom für den Betrieb von Elektro-Lichtbogenöfen generiert werden, „es gibt einige Projekte in der Pipeline“, erklärt Gangl. Bevor er die Milliarden-Investitionen - die vermutlich auch durch EU-Transformationsprogramme unterstützt werden dürften - auf den Weg bringen kann, muss er allerdings über Umschuldungen die Schulden senken und das „Geschäft stabilisieren“. Gelingen soll das Gangl zufolge über die Integration der Standorte und Produktionssteigerungen. „Darin liegt einiges Potenzial“, sagt er im Gespräch mit Journalisten. Eine Umschuldung für die neun Werke in Großbritannien schloss Liberty erst vergangene Woche ab.

Die europäischen Stahlwerke befinden sich in Frankreich, Belgien, Luxemburg, Polen, Tschechien, Ungarn, Rumänien und Nordmazedonien. In Tschechien, im mährischen Ostrau (Ostrava) stand die Produktion mit 6000 Mitarbeitern allerdings seit Weihnachten über Monate still, weil Liberty Ostrava Energierechnungen über rund 80 Millionen Euro nicht zahlte.