Es ist ein geografisch breiter Bogen, den Christian Helmenstein, Chefökonom der Industriellenvereinigung, in Raaba-Grambach aufspannt. Dort lud die Raiffeisen-Landesbank (RLB) Steiermark am Mittwochabend zum alljährlichen Konjunkturgespräch. Helmenstein fungiert als inhaltlicher Leuchtturm.

Auf der ausgeleuchteten Bühne entfernt sich der Ökonom schon nach ein paar Minuten knapp 11.500 Kilometer davon. „In Uruguay, wird an guten Tagen 98 Prozent des Stroms aus erneuerbarer Energie erzeugt“, sagt er. Dabei habe das Land erst um 2005 beschlossen, sich nicht mehr von Ölimporten abhängig zu machen. Aus dem Süden Südamerikas springt Helmenstein rasch nach Estland: „Dort wurde die Abhängigkeit von Energieimporten von 32 auf 6 Prozent reduziert“. Estland, einst Republik der Sowjetunion, sei „de facto nicht mehr Teil eines russischen Energieversorgungssystems“.

„Aufpassen, dass wir uns nicht rauspreisen“

Die „Dynamik“ ist es, auf die Helmenstein fokussiert und die für ihn so entscheidend zur Wettbewerbsfähigkeit eines Standorts beiträgt. „Wir sollten schneller werden, viel schneller“, appelliert er mit Blick auf die Energiewende. In einem anderen Bereich freilich bedrückt Helmenstein die Transformation Österreichs eher. „Nur Belgien hat zurzeit eine noch höhere Lohnstückkostendynamik als wir“, konstatiert der Forscher. Betont reiht Helmenstein die einzelnen Wörter in diesem Zusammenhang zu einer „Preis-Lohn-Spirale“. Nicht die hohen Abschlüsse der Kollektivvertrags-Verhandlungen seien ursächlich für den zunehmenden Druck auf die Betriebe verantwortlich, ein Preisschock war es. Zugleich nimmt er die Verhandlerinnen und Verhandler der anlaufenden Frühjahrslohnrunde in die Pflicht: „Wenn das so weitergeht, haben wir keine Chance mehr im europäischen Wettbewerb. Wir müssen aufpassen, dass wir uns nicht rauspreisen.“ 

Dabei zieht Christian Helmenstein an diesem Abend nicht nur dunkle Wolken auf. Zumindest konjunkturell sei das Schlimmste wohl bald überstanden. „Die rezessive Dynamik nimmt ab“, befindet der Ökonom. Im weiteren Jahresverlauf, Helmenstein glaubt ans zweite Halbjahr, werde die heimische Industrie in die Wachstumszone zurückkehren. Fraglich sei, „ob es ein kräftiger Aufschwung wird“.

Edtstadler zu Richtlinie: „Italien ist abgesprungen“

Schon zuvor spricht sich RLB-Generaldirektor Martin Schaller vor den mehr als 500 Gästen für einen dringend notwendigen „gesamtheitlichen Blick auf Ökonomie, Ökologie und Gesellschaft“ aus. „Klimaschutz und Wirtschaftswachstum passen zueinander“, sagt Schaller und fordert auf, „alte Denkmuster endgültig zu überwinden“. Auch bei Raiffeisen selbst schreibt man sich auf die Fahnen, über klassisches Geschäft hinauszudenken. „Wir gründen etwa Energiegenossenschaften, widmen uns der Kreislaufwirtschaft und setzen uns für eine verbesserte Gesundheitsversorgung ein“, lässt Schaller wissen. Für Wirtschaft und Gesellschaft brauche es „Anreize und keine Verbote“.

Ein Ball, den Ministerin Karoline Edtstadler vor Ort aufnimmt und gleich in Richtung Brüssel weiterspielt: „Europa soll nicht Weltmeister der Bürokratie und Überregulierung bleiben, sondern Champion der Wertschöpfung und Innovation werden“. Die neue EU-Kommission müsse dahingehend die „Stärkung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit“ zu ihrer „ersten Priorität“ machen. Mit Argwohn blickt die ÖVP-Politikerin auf die jüngste Einigung zum Lieferkettengesetz, das Unternehmen in die Pflicht nimmt, Zulieferer auf Verstöße gegen Umwelt- und Menschenrechte zu kontrollieren. Österreich hatte sich gegen die Richtlinie positioniert, wurde aber am Ende des Tages überstimmt. Auch, weil mit Italien „einer unserer Alliierten“ recht plötzlich und nach einem Tauschgeschäft „absprang“, wie Edtstadler erzählt.