Von „Business as usual“ kann in der Ukraine nicht die Rede sein. Die Lage werde im Westen aber verzerrt wahrgenommen, erklärt Georg Weingartner. Der österreichische Wirtschaftsdelegierte in Kiew zitiert eine Umfrage, die Anfang des Jahres unter Wirtschaftstreibenden durchgeführt wurde: 45 Prozent berichten, ihre Geschäftstätigkeit seit Kriegsbeginn unvermindert fortführen zu können. 40 Prozent gaben an, dass sie ihre Kapazitäten zurückfahren mussten, während der Rest signifikante Einschnitte machte. „Den Markt verlassen haben nur eine Handvoll“, sagt Weingartner. Aktiv sind rund 1000 österreichische Firmen, wobei 200 mit eigenen Tochtergesellschaften vertreten sind.
Der Bügelbrettproduzent Eurogold mit Hauptsitz in der ukrainischen Stadt Zhytomyr etwas westlich von Kiew ist eine von ihnen. Der Kärntner Nils Grolitsch, gemeinsamer Teilhaber mit Bruder Tobias Grolitsch, schildert die Situation: „Durch die Mobilmachung der Mitarbeiter ist die Produktion schwer belastet, 120 wurden einberufen. Die Geschäftstätigkeit ist eingeschränkt, aber aufrecht.“ Man mache das Bestmögliche aus den Umständen. Zudem gibt es durch eine neu gegründete Importfirma, um Waren aus der EU in die Ukraine zu holen, einen neuen Geschäftszweig, der sich gut entwickle.
„Europäische Business-Community gefordert“
Grolitsch, der in Kärnten auch als Honorarkonsul für die Ukraine tätig ist, bleibt optimistisch: „Wir glauben an das Land und seine demokratische Entwicklung und werden uns nicht zurückziehen.“ Zu den Diskussionen rund um den Wiederaufbau der Ukraine hat er einen anderen Zugang: „Nicht erst nach, sondern schon in Zeiten des Krieges ist ein Engagement der europäischen Business-Community gefordert.“ Statt Geldzahlungen der EU-Staaten fordert Grolitsch, in Projekte zu investieren. Als Konsul unterstütze er Unternehmer, die den Schritt in die Ukraine machen wollen. Besonderes Potenzial gebe es im Agrarsektor, der Holzwirtschaft oder der Wassertechnik.
Oksana Myronko, Sprecherin der European Business Association, bestätigt: „Der Arbeitskräftemangel ist eine große Herausforderung. Die Balance zwischen der militärischen und wirtschaftlichen Front, deren Einnahmen dringend benötigt werden, ist schwierig zu finden.“ Es grenze schon an ein Wunder, dass es gelungen ist, die Inflationsrate wieder in den einstelligen Bereich zu drücken. Weingartner sieht indes ein starkes Interesse an Investitionen, auch wenn eine mittel- und langfristige Planung schwierig sei. Unterstützend biete etwa die Österreichische Kontrollbank Absicherungen für Liefergeschäfte und Beteiligungen auch gegen nicht wirtschaftliche Risiken an.