Natürlich musste, wenn Alfred Gusenbauer am Podium sitzt, zunächst ein Wort zur Insolvenz der Signa-Gruppe fallen, wo der ehemalige SPÖ-Bundeskanzler 14 Jahre lang den Aufsichtsratsvorsitz innehatte. „So ist es eben, wenn man Geld für das Falsche ausgibt und in Sektoren tätig ist, wo man nicht zu Hause ist, nämlich dem Handel. Signa ist letztlich an subjektiven Fehleinschätzungen gescheitert“, so der 64-Jährige gleichmütig. „Und dennoch bin ich der Meinung, dass René Großes geschaffen hat.“ Er telefoniere mit Benko weiterhin regelmäßig und „versuche, ihn psychologisch zu unterstützen“.
Die hochkarätige Gesprächsrunde, zu der der strategische Berater Gerald Gerstbauer gemeinsam mit Sponsor Eviden, einem großen IT-Dienstleister, am Donnerstag ins Schlosshotel Velden geladen hat, war de facto Gusenbauers erster öffentlicher Auftritt nach seinem Signa-Rückzug. Harsche Kritik teilt Gusenbauer in Richtung des Präsidenten der Generalprokuratur Wolfgang Peschorn aus, weil der sich für einen Konkurs und gegen die Sanierung bzw. Treuhandlösung ausgesprochen hatte. Eine Mehrheit der Gläubiger hat jedoch diese Woche gegen den Konkurs und für eine 30-prozentige Quote gestimmt. „In der Privatwirtschaft wäre Peschorns Vorgehen Untreue gewesen“, so Gusenbauer.
„Europa ist im Krebsgang unterwegs“
Die fundamentalen Änderungen in der Geopolitik, das Kollabieren der liberalen Weltordnung waren dann Thema am Podium. „Wir haben eine Phase der Unwucht, eine Welt, die sich aus der Unordnung heraus neu ordnet“, skizzierte der ehemalige deutsche CSU-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (52) die Verschiebung der globalen Machtverhältnisse. „Indien, Indonesien oder auch Brasilien bringen sich in Stellung. Europa hingegen ist immer noch im Krebsgang unterwegs. Wir haben die Geschwindigkeit nicht begriffen.“ Europa habe es sich in den drei Abhängigkeiten Sicherheit (von den USA), Energie und Export (von China) „gemütlich gemacht“. „Dazu kommen neue Rohstoff-Abhängigkeiten“, ergänzt Gusenbauer.
Auch Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ) rief in der von Chefredakteur Hubert Patterer moderierten Diskussion zu „mehr europäischer Politik“ auf, um „mehr Gewicht zu haben“. Guttenberg: „Da gibt es Kräfte, die kein Interesse haben, dass die EU zusammenhält. Russland zum Beispiel oder Peking.“
„Deutsche Regierung ist aus der Welt gefallen“
Indien könnte zwischen den Polen USA und EU, Russland und China „das Zünglein auf der Waage sein“, auch Saudi-Arabien habe das Potenzial zu einer Weltmacht – hier sind sich die Politiker einig. Jedenfalls, dass „die Ordnung mit der USA als alleinige Wirkungsmacht Geschichte ist“, ebenso die „Sonderepoche mit Frieden und gesicherten Verhältnissen“. Guttenberg sieht „die Gefahr, dass die Nato innerlich bedroht ist, sollte Trump die US-Wahl gewinnen“. Gusenbauer hält „die atomare Bewaffnung Europas für essenziell. Du wirst in der Welt nur ernst genommen, wenn du Atomwaffen hast.“
Zum erwogenen Verbot der AfD in Deutschland äußert sich Guttenberg ablehnend: „Ich halte das für zu riskant. Man sollte lieber einzelne Personen herausgreifen – hier besteht aber wieder die Gefahr, Märtyrer zu schaffen.“ Eine rechtsnationale Welle bei der Europa-Wahl im Juni sieht er nicht. Dass die deutsche Koalition bricht, hält er „noch dieses Jahr für wahrscheinlich“. Und auch Gusenbauer sagt: „Die deutsche Regierung ist aus der Welt gefallen.“
Hoffnung durch Taylor Swift
Und Trump? „Wenn ich heute eine Wette abschließe, sage ich: Trump gewinnt“, so Guttenberg, der nach seinem Ausscheiden aus der deutschen Politik zehn Jahre in Amerika gelebt hat. Falls Taylor Swift in den fünf Swing-Staaten noch für Biden auftreten sollte, sehe er aber noch Chancen für den Amtsinhaber.
Gusenbauer lässt sich schließlich von Patterer noch eine Wahlprognose für Österreich entlocken. „Ich glaube nicht, dass die FPÖ so klar gewinnen wird. Für die ÖVP wird es nicht schlecht ausgehen. Die SPÖ ist gut bedient, wenn sie wieder knapp 22 Prozent erreicht.“ Dass die SPÖ „nicht mehr in die Mitte geht“, hält Gusenbauer für eine Fehlentscheidung, „denn in der Mitte sind Stimmen zu holen.“
Im hochkarätigen Wirtschaftspublikum des Gipfelgespräches saßen unter anderem ÖBB-Chef Andrea Matthä, Eviden-CEO Markus Schaffhauser, Unternehmer Hanno Soravia, Kontrollbank-Chef Helmut Bernkopf, der ehemalige BZÖ-Verteidigungsminister Herbert Scheibner und die ehemalige ÖVP-Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger.