Es sind diese nur schwer vorstellbaren Dimensionen, die Indien in den Fokus der Weltwirtschaft rücken. Um das Wirtschaftswachstum abzubilden, müsste Indien eine Million Arbeitsplätze im Monat schaffen. Der Anteil des Mittelstandes ist in den letzten Jahren von 14 auf 31 Prozent gestiegen, Ende des Jahrzehnts werden es 50 Prozent sein. Bei einer Gesamtbevölkerungsanzahl von über 1,4 Milliarden Menschen sind das irre Hebel, um Geschäftsmodelle zu etablieren.
36 Schnellstraßen werden aktuell zwischen den größten Städten gebaut, um den Warenverkehr zu beschleunigen. Bis 2029 Nummer will Indien Nummer eins der Hersteller von Waren und Teilen aller Art werden. Auch wenn China heute noch als die Werkbank der Welt bezeichnet wird und Indien aufgrund seiner IT- und Software-Kompetenzen als das Servicecenter, begibt sich die größte Demokratie der Welt bewusst in diese Konkurrenzposition. Ein einfacher Fabriksarbeiter aus Indien kommt den Unternehmen heute günstiger als ein chinesischer. 200 Euro Monatsverdienst, zehn Prozent Lohnnebenkosten stehen auf der Rechnung der internationalen Unternehmen. Nissan und Toyota haben Indien als zentrale Produktionsstätte ihrer Kleinfahrzeuge erkoren. Ford, Fiat, Suzuki, General Motors sehen Indien als Hub für ihre kleinen Motoren.
Warum Indien und Europa kooperieren
In einem schwierigen geopolitischen Umfeld liegt der ideale Zeitpunkt für das neue indische Selbstbewusstsein. Europa zeigt sich ob der chinesischen Machtansprüche und der Politik verunsichert. Indien wiederum ist mit China in mehrere Scharmützel involviert, entlang der gemeinsamen Grenze genauso wie in indischen Einflussgebieten. Indien braucht Europa zwar nicht dringlich, zu stark ist man alleine gewachsen, in Zeiten als Europa alles auf China gesetzt hat, weil Indien mit seinen Dutzenden Ausprägungen zu fragmentiert erschien. Aber das gemeinsame Mysterium China, die Wachstumssucht der indischen Wirtschaft, und die hochspezialisierten europäischen Unternehmen sind ein Nenner, der zunehmend an Bedeutung gewinnen könnte.
Hochkarätige Deligation
Deshalb ist eine steirische Wirtschaftsdelegation nach Indien gereist, mit Wirtschaftskammer-Vize Herbert Ritter an der Spitze. Mit dabei, unter anderen: Markus Tomaschitz (AVL), Manfred Brandner (eee Group), Gernot Pagger (IV), Jost Bernasch (Virtual Vehicle Research), Bernhard Puttinger (Green Tech Valley Cluster), Michael Noest (Iesta), Christoph Ludwig (SFG), Helmut Wiedenhofer (Joanneum Research), Florian Kanzler (Verfahrenstechnik KVT), Oliver Werinos (Teubl), Arno Teuschler (Teuschler Holz), Bernd Meister (Uni Credit Bank Austria), Gerhard Elser (Transition IT), Martin Payer und Holger Friehmelt (FH Joanneum), Dominik Velikonja (Vegu), Günther Lackner (Terma Technologies), Udo Traussnigg (Campus 02), Michael Liebminger (AC Styria), Sonja Rauch-Hoephffner (FFG), Andreas Gaggl (WKO), Gerald Matzer (DAM). Sowie das steirische Internationalisierungscenter mit Karl Hartleb an der Spitze und Daniala Guss und Programm-Managerin Christina Ulrich an der Seite.
Die Strategien
Die Kernfrage, die sich alle stellen: Wie kann man hier in Indien Fuß fassen? Florian Kanzler, Managing Partner bei Kanzler Verfahrenstechnik, ist diesen Weg schon gegangen. „Seit 2014 haben wir mit unserer Arbeit hier in Indien begonnen“, erzählt er. Aber es war ein harter Weg, ehe man 2020 mit indischen Unternehmen ins Geschäft kam, in hochspezialisierten Bereichen. Davor standen: Referenzbesuche, Anlagen zeigen, Beziehungen aufbauen.
Das Geschäft in Indien ist extrem aufgefächert mit seinen vielen regionalen Unterschieden, die persönliche Beziehung, das Vertrauen fassen, fast eine familiäre Bindung einzugehen, das sind die Trigger einer Geschäftsbeziehung. Es geht nicht um eine Freunderlwirtschaft, sondern um einen familiären Charakter der Beziehung – und Vertrauen. Heute arbeitet Kanzler an hochspezialisierten Projekten und Verfahren.
Die großen Chancen
Das zeigt auch eine Richtung an, wo die Steirer reüssieren könnten, wie auch Bernhard Puttinger (Green Tech Cluster) weiß. Wichtige Themen seien Recycling und wie man klimaschonend produzieren könne. Denn auch Indien rutscht unaufhaltsam immer tiefer in ein Umweltproblem. In Städten wie Dehli sinkt sogar die Lebenserwartung. Auch für die Exporte wird die CO2-Bilanz immer wichtiger.
Selbst in schwierigen Bereichen sehen die Steirer aber Chancen, wie ein Besuch beim Auto-Zulieferer Sansera zeigt, die BMW genauso wie KTM beliefern und international tätig sind. Dominik Velikonja (Vegu) sagt: „Beeindruckend ist wie weit man hier technologisch fortgeschritten ist.“ Trotzdem sieht er Anknüpfungspunkte. „Sie brauchen zum Beispiel spezielle Kleinteile, die wir produzieren. Das könnte eine Chance sein.“
Man braucht einen langen Atem
Die ganze Kraft Indiens zeigt sich auch in ihren Riesen, die manchmal wanken. Wie Tata, ein Konzern, dessen Portfolio von der Auto-Industrie (Landrover, Jaguar, man baut mit Magna auch an Plattformen) bis zur Software und Telekommunikation reicht. IV-Geschäftsführer Gernot Pagger sagt: „Man braucht einen langen Atem, um hier Fuß zu fassen. Aber die Chancen sind einfach riesig.“ In Teilbereichen sind schon Vertiefungsreisen für steirische Deligationen geplant.
Wichtig sei es, Kontakte zu knüpfen, oder, über Entwicklungshilfeprojekte Akzente zu setzen. Oder, wie die AVL schon früh gezeigt hat, sich in Indien aufzustellen. WKO-Vize Herbert Ritter abschließend: „Die indische Transformation können wir hier mitgestalten, man spürt die Aufbruchsstimmung.“
Anmerkung: Die Teilnahme an der Reise erfolgte auf Einladung des Landes Steiermark