Es sind erschreckende Zahlen: In Österreich werden jährlich rund 8000 Kinder und Jugendliche bei einem Unfall mit dem Fahrrad verletzt. „Rund 600 der Verletzungen werden direkt durch den Lenker verursacht, wobei 19 Prozent dieser Fälle stationär behandelt und zum Teil operativ versorgt werden müssen. In mehr als der Hälfte dieser Unfälle treten schwere innere Verletzungen auf – konkret: Verletzungen der Leber, der Bauchspeicheldrüse oder der Milz“, analysiert der Mediziner Christoph Arneitz, Oberarzt an der Kinder- und Jugendchirurgie am Klinikum Klagenfurt, „daher haben wir uns Gedanken gemacht, wie wir Kinder in Zukunft besser schützen können.“ Die TU Graz hat dann in Zusammenarbeit mit dem Verein „Große schützen Kleine“ Verletzungen nach Fahrradunfällen untersucht. Das Ergebnis? Das Design der Griffe hat wesentlichen Einfluss darauf, ob Kinder schwere Verletzungen erleiden oder ob ein Unfall glimpflich ausgeht.
Nico Erlinger und Maximilian Schinagl von der TU Graz haben das Projekt dann aufgesetzt: Mit Laserscannern wurden Fahrradlenker erfasst und quasi in Computersimulationen übersetzt. Bisher gab es zu diesen Unfällen extrem wenig wissenschaftliche Daten, deshalb musste man quasi von null beginnen. Die bisherigen Normen für die Lenkerenden seien auch zu wenig aussagekräftig gewesen, heißt es. Dazu kommt, dass einige Hersteller zu wenig Wert auf das richtige Material für die Lenkerenden legten. Einfache Gummienden können sich schnell abnützen – dann wird es umso gefährlicher.
Mithilfe des computerbasierten Kindermodells wurde das Verletzungsrisiko von Lenkerenden verschiedener Hersteller sowie auch eines defekten Lenkerendes ohne Schutzkappe an der TU Graz dann analysiert.
Die Studienergebnisse zeigen klar, dass speziell entworfene Lenkergriffe mit verbreiterten und verdickten Enden die maximale Kompression der Bauchwand erheblich reduzieren können, wodurch das Risiko von Organverletzungen deutlich reduziert und somit die Sicherheit von Kindern deutlich verbessert wird. Für das höchste Verletzungsrisiko sorgte dabei das beschädigte Lenkerende.
Mit den speziellen Computersimulationen – aussagekräftiger als herkömmliche Versuche mit diversen Materialien, die menschliches Gewebe und Organe simulieren – wurden die Unfälle nachgestellt. Die Ergebnisse stellten Erlinger und Schinagl bei einer internationalen Konferenz in Cambridge vor. Die Geschwindigkeit spielt bei den Verletzungen übrigens nicht alleine die tragende Rolle, es geht vor allem um den Aufprallwinkel und welche Form die Lenkerenden besitzen. Der typische Unfall: Kinder kommen beim Fahren ins Wackeln, stürzen, der Lenker verdreht sich und das Kind fällt auf das Lenkerende.
Wie schaut das perfekte Lenkerende jetzt aber aus? Eine abgerundete, breitere Form ist der beste Kompromiss für die unterschiedlichen Aufprallwinkel. Und, natürlich, dass die Lenkerenden ein Material besitzen (Kunststoff etc.), das die Energie besser verteilen/aufnehmen kann.
Der Mediziner Arneitz sagt: „Diese Ergebnisse bestätigen das Verletzungsrisiko von herkömmlichen Lenkerenden und müssen zukünftig bei internationalen Produktionsstandards von Kinderfahrrädern berücksichtigt werden. Eltern müssen darüber aufgeklärt werden, dass Lenker ohne Schutzkappen oder beschädigte Enden ein deutlich erhöhtes Verletzungsrisiko in sich bergen.“
Beim auf Kinderräder spezialisierten Hersteller woom sieht man sich bestätigt und will die Erfahrungen auch weiter in die Entwicklung der neuen Lenker einbringen. Entwicklerin Cornelia Krebs betont, dass man auch die gesamte Geometrie beachten müsse. Das Erreichen der Bremsen und der Schaltung, eine perfekte, dem Alter entsprechende Sitzposition. Viele der neuen Erkenntnisse seien aber schon umgesetzt worden. „Es war wichtig für uns zu sehen, dass wir mit unseren breiteren Lenkerenden schon heute auf dem richtigen Weg sind.“