Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP) hat trotz eines neuen Kompromissvorschlags weiterhin Bedenken hinsichtlich des geplanten EU-Lieferkettengesetzes. Er sehe den neuen Vorschlag der belgischen Ratspräsidentschaft auch nicht als „Verwässerung“ an, sagte Kocher am Donnerstag im Vorfeld eines Treffens der für die Wettbewerbsfähigkeit zuständigen EU-Ministerinnen und -Minister.

Der belgische Kompromissvorschlag sieht laut Medienberichten vor, dass nurmehr Unternehmen mit über 1000 Mitarbeitern (bisher: 500) und über 300 Mio. Euro Umsatz (bisher: 150 Mio.) von der Richtlinie betroffen sein sollen.

„Ich glaube, es braucht über das hinaus noch die Positiv- und Negativ-Listen, die ‚Safe-Harbour-Clauses‘, die eben die bürokratische Belastung der Unternehmen erleichtern“, so Kocher. Dahinter steckt die Idee, dass zum Beispiel gewisse Länder oder Zulieferer behördlich als sicher zertifiziert werden und die Unternehmen somit von entsprechenden Sorgfaltspflichten befreit werden.

„Sinnvolle Regulierung“ gefordert

„Wir wollen alle, dass es keine Sklavenarbeit gibt, wir wollen alle, dass Kinderarbeit nicht mehr existiert, wir wollen alle, dass es keine Umweltzerstörung in Ländern außerhalb der Europäischen Union gibt“, betonte der Minister. „Aber es muss auch eine sinnvolle Regulierung sein.“

Gesetz liegt auf Eis

Das EU-Lieferkettengesetz liegt weiterhin auf Eis, nachdem mehrere Staaten - darunter Österreich - Vorbehalte gegenüber dem mit dem EU-Parlament ausgehandelten Kompromiss angemeldet hatten. Angesichts der anstehenden EU-Wahl wird eine Verabschiedung der Lieferkettenrichtlinie vor der Wahl immer fraglicher.

Kocher sieht in dieser Frage vorrangig nicht den Rat (also die 27 EU-Mitgliedstaaten) am Zug: „Wie der Zeitenablauf ist, hängt natürlich vor allem vom Parlament und von Dingen ab, die jetzt der Rat nicht beeinflussen kann“ - sprich, es hänge davon ab, ob das Parlament einen etwaigen neuen Vorschlag des Rates akzeptieren würde oder neu verhandeln will.

Zuständigkeiten: Kocher und Zadic

Die Zuständigkeit für das EU-Lieferkettengesetz teilt sich Kocher mit Justizministerin Alma Zadić (Grüne). Sie hatte sich in der Vergangenheit für eine Zustimmung aus Wien stark gemacht. Wegen der Ablehnung Kochers gibt es aber keine Regierungsposition, weshalb sich Österreich bisher bei Abstimmungen in Brüssel enthalten hat (was rechtlich einem Nein gleich kommt). Kocher befürchtet indes nicht, dass Zadić dem österreichischen EU-Botschafter die Weisung erteilen könnte, bei einer möglichen Abstimmung für das Lieferkettengesetz zu stimmen. Eine solche Weisung Zadić‘s ist rechtlich nicht möglich, bestätigten beide Ministerien der APA.

Ähnliche Fälle

Eine ähnliche Situation gibt es in Deutschland, wo die liberale FDP eine Zustimmung Berlins blockiert. Der deutsche Staatssekretär Sven Giegold (Grüne) begrüßte heute in Brüssel den neuen Vorschlag, betonte aber, dass er nicht für die ganze Regierung spreche. Der deutsche Justizminister Marco Buschmann (FDP) hatte am Mittwoch bereits angekündigt, auch den jüngsten Kompromissvorschlag ablehnen zu wollen.

Das EU-Lieferkettengesetz soll große Unternehmen zur Rechenschaft ziehen, wenn sie etwa von Kinder- oder Zwangsarbeit außerhalb der EU profitieren. Größere Unternehmen müssen zudem einen Plan erstellen, der sicherstellt, dass ihr Geschäftsmodell und ihre Strategie mit der Einhaltung der Pariser Klimaziele zur Begrenzung der Erderhitzung vereinbar sind.

EU-Gesetz gegen Zahlungsverzug

Neben dem Lieferkettengesetz diskutieren die Minister am Donnerstag in Brüssel auch über eine geplante EU-Verordnung „zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr“. Mit ihrem Vorschlag für ein EU-Gesetz gegen Zahlungsverzug will die EU-Kommission nach eigenen Angaben kleine und mittlere Unternehmen (KMU) besser vor Geschäftskunden mit schlechter Zahlungsmoral schützen und damit auch gegen Insolvenzen vorbeugen. So soll zum Beispiel EU-weit eine einheitliche maximale Zahlungsfrist von 30 Tagen eingeführt werden.

Auch hier hat Kocher Vorbehalte. „Das sollte nicht immer gelten. Ich glaub es ist klar, dass es eine gewisse Freiheit geben soll, vertraglich gewisse Dinge zu vereinbaren, weil es möglicherweise auch andere Zahlungsfristen geben kann, die dann im Interesse aller beteiligten Parteien sind.“ Auch eine eigene Durchsetzungsbehörde sieht Kocher kritisch. „Warum gibt es eine solche Behörde, wenn es ohnehin ordentliche Gerichte gibt, die für die Durchsetzung von eben Verstößen in Verträgen verantwortlich sind?“