Es habe sich eingebürgert, dass in Österreich „mehr oder weniger jede wirtschaftliche Unbill vollständig durch die öffentliche Hand abgefangen werden soll“, meint Martin Wagner. Der Volkswirt, der derzeit in Florenz forscht, ist Chef-Wirtschaftsberater der Bank von Slowenien und im „Brotberuf“ Volkswirtschaftsprofessor an der Universität Klagenfurt. Er warnt davor, mit neuen, nicht durchdachten großzügigen Förderungen die Preise am Bau weiter anzutreiben. Besser angelegt sei das Geld für gezielte Förderungen und etwa Sanierungen, die arbeitsplatzintensiv sind. Die Baukrise sieht Wagner als – drohenden – Einbruch einer „Sonderkonjunktur Bau“ aufgrund langer Zeit tiefer Zinsen. Das „Geld aus der Gießkanne“ zu verteilen sei daher „nicht optimal“.

Skeptisch sieht Wagner auch die Forderung nach einer Lockerung der KIM-Verordnung, die die Kreditvergabe reglementiert. „Das wegen der hohen Preise und gestiegenen Zinsen sinkende Bauvolumen mit lockerer Kreditvergabe auszugleichen, ist nicht besonders sinnvoll.“ Und „ein bisschen lockern kann man andenken, macht auch das Kraut nicht fett. Aber das Umfeld hat sich geändert, und das müssen wir zur Kenntnis nehmen“.

Was Slowenien und Österreich eint

Ähnlich wie Österreich verzeichnet auch Slowenien hohe Inflationsraten. Beide Staaten hätten versucht, durch Ausgleichszahlungen die Folgen der Inflation abzufedern, mit dem Effekt, dass die Teuerung zusätzlich angetrieben wurde. Das verteure nun heimische Güter im Ausland zusätzlich. Doch hätten viele Exportbetriebe aufgrund hochqualitativer, spezieller Waren durchaus eine gewisse Markt- und Preismacht. Die sinkende Wettbewerbsfähigkeit werde aber nicht von alleine verschwinden, daher hätten Betriebe mehrere Optionen, gegenzusteuern: „Man kann versuchen, produktiver zu werden oder höherwertige Güter herzustellen.“ In einem gewissen Maß könnten auch die Preise bei sinkender Nachfrage zurückgehen. „Und es gibt ja auch neue Lohnverhandlungen.“

Volkswirt Martin Wagner
Volkswirt Martin Wagner © Norbert Wohlgemuth

Benya-Formel besser als ihr Ruf

Die von den Arbeitgebern viel gescholtene Benya-Formel bewertet Wagner übrigens als viel besser als ihr Ruf. „Sie ist ein Teil des Erfolgsmodells Österreich. Es gibt keinen fundamentalen Grund, der dagegen spricht.“ Wagner ist überzeugt, dass mit sinkenden Inflationsraten die starken Spannungen bei künftigen Lohnverhandlungen wieder verschwinden werden und der Verhandlungsprozess mit der Benya-Formel als Startpunkt ein besseres Image zurückbekommen werde.

Bedarf für eine Diskussion sieht Wagner im Pensionssystem. Der alljährlich steigende Anteil steuerfinanzierter Zuschüsse sei bedenklich: „Für mich ist schon die Frage, ob und zu welchen Bedingungen das Pensionssystem langfristig solide finanziert ist, mit einer alternden und länger lebenden Bevölkerung.“ 

In der steigenden Unzufriedenheit in Teilen der Bevölkerung und im politischen System, die sich in Forderungen etwa der SPÖ nach neuen Steuern, aber auch mehr Hilfen – siehe Baupaket – niederschlägt, sieht Wagner auch als Ausdruck eines härter werdenden Verteilungskampfes in Österreich. „Durch die hohe Inflation und die schwierige Wettbewerbssituation ist der Kuchen kleiner geworden – und jeder will umso mehr ein möglichst großes Stück davon.“