Das EU-Lieferkettengesetz hat erneut die benötigte qualifizierte Mehrheit unter den EU-Staaten verfehlt. Das teilte die belgische Ratspräsidentschaft am Mittwoch auf der Online-Plattform X (ehemals Twitter) mit. Man prüfe jetzt, wie man die Vorbehalte mehrerer Mitgliedstaaten gemeinsam mit dem EU-Parlament angehen könnte, heißt es in dem kurzen Statement. Lob kam von Unternehmensvertretern, aus der Zivilgesellschaft hagelte es Kritik.
Eigentlich haben sich die EU-Mitgliedstaaten (Rat) zusammen mit dem Europaparlament bereits auf einen gemeinsamen Kompromisstext geeinigt. Beide Institutionen müssen diesen aber noch final absegnen. Bereits Mitte Februar war dies bei einer Zusammenkunft der EU-Botschafter nicht möglich, weil mehrere Staaten den bereits gefundenen Kompromiss nicht mehr unterstützen wollten. Die Abstimmung im Rat wurde vertagt.
Wegen Meinungsverschiedenheiten in der Regierungskoalition in Berlin hatte Deutschland angekündigt, sich zu enthalten. Auch Österreichs Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP) gab bekannt, das Wien sich bei der Abstimmung enthalten werde. Zudem dürften auch andere Länder, darunter Italien, sich quergelegt haben. Damit der Text im Rat (in dem die EU-Staaten vertreten sind) verabschiedet werden kann, wäre eine qualifizierte Mehrheit (55 Prozent – also 15 von 27 Mitgliedstaaten, die mindestens 65 Prozent der Bevölkerung abbilden) im Ausschuss der EU-Botschafter nötig.
„Eine historische Chance verpasst“
Österreichs Justizministerin Alma Zadić (Grüne) bezeichnet den heutigen Ausgang in einer Aussendung als „bitter“. Anders als Kocher hatte sie in der Vergangenheit eine Zustimmung Österreichs gefordert. „Damit wurde eine historische Chance verpasst, Millionen von Kindern vor Ausbeutung zu schützen und unsere Umwelt vor weiterer Zerstörung zu bewahren“, so Zadić. Sie betonte aber, dass sie trotz des heutigen Rückschlags nicht aufgeben wolle. „Ich werde mich weiter auf allen Ebenen für den Schutz von Kindern, der Natur und der Menschenrechte einsetzen“, heißt es in dem Statement.
Laut Wirtschaftsminister Kocher zeigt das heutige Ergebnis, „dass neben Österreich auch zahlreiche andere Länder Bedenken an der Umsetzbarkeit des vorliegenden Entwurfs hatten,“ sagte er in einer Aussendung. Die Ziele der Lieferkettenrichtlinie unterstütze man aber. „Wir haben weitere Verhandlungen gefordert und hoffen, dass die Gespräche nun wiederaufgenommen werden.“
SPÖ-Europasprecher Jörg Leichtfried kritisiert Kocher dafür. „Dass Österreich mit dabei ist, einen ausverhandelten Kompromiss zu Fall zu bringen, ist eine Schande. Das Lieferkettengesetz wäre ein wichtiger Schritt im Kampf gegen Kinderarbeit, Zwangsarbeit und Umweltverbrechen.“
„Big Business will im alten Stil weitermachen“
Dass die Richtlinie nicht verabschiedet wurde, sorgte in Österreich auch für Kritik mehrerer zivilgesellschaftlicher Organisationen und von Gewerkschaftsseite. „Es wurde mehr als zwei Jahre lang darüber verhandelt, Österreich war immer eingebunden“, meint ÖGB-Ökonomin Miriam Fuhrmann mit Blick auf Kochers Enthaltung. „Viele Unternehmen, die bereits jetzt auf saubere Lieferketten achten, unterstützen das EU-Lieferkettengesetz, weil es für fairen Wettbewerb sorgt. Big Business will im alten Stil weitermachen. Das ist nicht akzeptabel“, sagte dann AK-Expertin Sarah Bruckner.
„Ein EU-Lieferkettengesetz wäre ein Meilenstein für den Schutz der Umwelt und der Menschenrechte und liegt auch absolut im Interesse von weitsichtig denkenden Unternehmen“, bedauert Teresa Gäckle der Umweltorganisation WWF den heutigen Vorgang. Zudem würden „die blockierenden EU-Länder gerade am eigenen Ast“ sägen, „denn wenn die nachträgliche Ablehnung von bereits ausverhandelten Kompromissen Schule macht, ist die Europäische Union als Ganzes bald handlungsunfähig.“
Die Umweltorganisation Global 2000 fordert eine baldige Einigung zum Lieferkettengesetz. „Sie dürfen nicht länger mit Menschenleben und der Zukunft des Planeten spielen, nur um Großkonzernen die weitere Ausbeutung von Menschen und Umwelt zu erleichtern“, so Anna Leitner, Expertin von Global 2000 .Kritik an Österreichs Enthaltung sowie Forderungen an Minister Kocher, doch noch zuzustimmen kam weiters von der Grünen Wirtschaft sowie den Organisationen Südwind, Netzwerk Soziale Verantwortung (NeSoVe), Jugend Eine Welt und der Dreikönigsaktion der Katholischen Jungschar.
„Vorgaben wären schlichtweg nicht umzusetzen gewesen“
Der Generalsekretär der Wirtschaftskammer (WKÖ), Karlheinz Kopf, bezeichnete die Lieferkettenrichtlinie als „nicht praxistauglich“, wie er in einer Aussendung mitteilte. „Nun gilt es, einen neuen Weg zu finden, die hohen ethischen und ökonomischen Standards der europäischen Betriebe auch in anderen Teilen der Welt zu etablieren“, so Kopf.
„Mit dem heutigen Beschluss wurde zurecht in letzter Minute ein massiver Wettbewerbsnachteil für den europäischen Wirtschafts- und Industriestandort verhindert“, freute sich Georg Knill, Präsident der Industriellenvereinigung (IV). „Für viele Unternehmen, gerade im mittelständigen Bereich wären die Vorgaben schlichtweg nicht umzusetzen gewesen“.
Das EU-Lieferkettengesetz soll große Unternehmen - mit mehr als 500 Mitarbeitern bzw. in Risikosektoren mit mehr als 250 Mitarbeiterinnen - zur Rechenschaft ziehen, wenn sie etwa von Kinder- oder Zwangsarbeit außerhalb der EU profitieren. Größere Unternehmen müssen zudem einen Plan erstellen, der sicherstellt, dass ihr Geschäftsmodell und ihre Strategie mit der Einhaltung der Pariser Klimaziele zur Begrenzung der Erderhitzung vereinbar sind.