Es hat fast 35 Jahre gedauert. Jetzt ist es wieder so weit: Der japanische Aktienleitindex Nikkei hat sein Allzeithoch aus den späten 1980er Jahren Ende der vergangenen Woche wieder erreicht. Ein Rekord, der geradezu symbolisch für eine mehr als bemerkenswerte Handelswoche steht. Denn auch in Frankfurt konnte der DAX einen neuen Höchststand verbuchen – und an der Wall Street in New York knacken die Aktienindizes Dow Jones und S&P 500 fast im Tagestakt ihre bisherigen Rekordwerte. Der Dow Jones konnte Donnerstagnacht erstmals in seiner 140-jährigen Geschichte die Marke von 39.000 Punkten überspringen.

Und was treibt die Börsen an?

Was treibt die Börsen an? Auf diese Frage gibt es derzeit vor allem eine Antwort mit nur sechs Buchstaben: „Nvidia“. Der US-Chiphersteller pulverisiert derzeit selbst Rekord um Rekord und gilt seit Längerem als „Supermacht“, wenn es um Hardware für künstliche Intelligenz (KI) geht. Die jüngsten Bilanzzahlen des Konzerns (siehe rechts) haben diese Vormachtstellung aus Sicht von Analysten und Anlegern noch einmal untermauert – und den gesamten KI-Sektor beflügelt. Das hat wiederum zu deutlichen Kurssteigerungen in der Technologiebranche geführt – und so ganze Aktienindizes in die Höhe getrieben.

ATX kommt nicht richtig vom Fleck

Der jüngste Höhenflug an den Aktienmärkten lässt sich zu einem guten Teil also tatsächlich auf dieses „Nvidia-Feuerwerk“ zurückführen. In so mancher Analyse ist bereits von einem „Goldrausch“ die Rede, es profitieren demnach insbesondere Aktienindizes, in denen stark gewichtete Technologiewertpapiere zu finden sind. Damit erklärt sich u. a. auch, warum der Wiener Leitindex ATX kaum von der jüngsten Rallye angesteckt wurde – er kommt derzeit nicht richtig vom Fleck, seit Jahresbeginn ergibt sich ein moderates Minus von 0,83 Prozent.

Zinssenkung im Frühjahr unwahrscheinlich

Nicht wenige Börsianer verfolgen die Rekordjagd mit einer ordentlichen Portion Skepsis. Denn an sich sind abseits vom Sonderfaktor Nvidia derzeit nur wenige Argumente auszumachen, warum es an vielen Leitbörsen zu diesen Ausschlägen nach oben kommt. Die Euphorie, die im Spätherbst – in Erwartung zeitnaher Zinssenkungen – eingesetzt hatte, ist mittlerweile erloschen. Sowohl die US-Notenbank Fed als auch die Europäische Zentralbank (EZB) haben zuletzt alles unternommen, um die Erwartungshaltung in diese Richtung zu dämpfen. Zinssenkungen bereits im März, wie zu Jahresbeginn zum Teil erwartet, gelten mittlerweile als unwahrscheinlich. Vor Mai oder Juni dürfte die Zinsschraube nicht gelockert werden.

Keine belastbaren Lichtblicke

Trotz dieser für Aktienanleger eigentlich alles andere als erbaulichen Nachrichten blieb eine Kurskorrektur nach unten aus. Auch auf konjunktureller Ebene zeichnen sich noch keine belastbaren Lichtblicke ab, das gilt insbesondere für Europa. Die anhaltend hohen Zinsen sorgen überdies dafür, dass Anleihen weiterhin attraktiv bewertet sind – auch das spricht tendenziell eher gegen Aktieninvestments. Und dann wären da noch die geopolitischen Risiken: Neben dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine, der nun seit zwei Jahren tobt, ist die Lage im Nahen und Mittleren Osten angespannt wie lange nicht. Die Situation im Roten Meer, wo Houthi-Rebellen durch fortlaufende Angriffe die Frachtschifffahrt gefährden, bleibt ebenfalls brisant. Alles in allem bietet sich also ein hochriskanter Mix, der sich in den Börsenentwicklungen aber nicht widerspiegelt.

Geopolitische Lunten brennen

Daher verwundert es kaum, dass sich in den Freudentaumel am Börsenparkett unüberhörbar auch mahnende Stimmen mengen. Denn sollten sich die ersehnten Zinssenkungen heuer noch länger hinziehen, das Wirtschaftswachstum weiter abflauen und die Lunten an den geopolitischen Pulverfässern weiter brennen, könnte sich die Stimmung drehen.

Das Prinzip Hoffnung

Was also nährt diesen „Bullen-Markt“? Es ist vor allem das Prinzip Hoffnung. Zum einen die Erwartung, die Wirtschaft in Europa werde demnächst aber wirklich die Talsohle erreicht haben. Die Arbeitslosenzahlen sind zudem weiter niedrig, die Inflation sinkt, wenngleich schleppend. Zum anderen ist zwar das reale Wirtschaftswachstum eingebrochen, doch Umsätze und Gewinne der Unternehmen sind (nominal gesehen) noch beachtlich, wenngleich Rückgänge in den Konzernbilanzen absehbar sind. Dazu kommt die riskante Wette auf die als „Gamechanger“ gehandelte KI. Doch Börsen sind keine Einbahnstraßen – mit den Kursen steigt die Fallhöhe.

© AFP / Joel Saget