Am Freitag wird in Brüssel über das EU-Lieferkettengesetz abgestimmt. Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP) hält den erarbeiteten Kompromissvorschlag für „nicht zustimmungsfähig“ und hat Mittwochabend angekündigt, dass er sich enthalten will. Das trägt ihm nun heftige Kritik ein. Gewerkschaft, Arbeiterkammer, NGO und Umweltschützer sind für das Vorhaben. Wirtschaftsvertreter von Wirtschaftskammer (WKO) und Industriellenvereinigung (IV) sind wie Kocher dagegen, sie warnen vor einer Überregulierung. Der Minister argumentiert, er unterstütze die Ziele der Richtlinie, aber mit dem Gesetz würden Pflichten und Haftungsrisiken auf kleine und mittlere Unternehmen überwälzt.
Das sorgt, wie berichtet, auch für Spannungen zwischen den Koalitionspartnern ÖVP und Grüne. Denn Justizministerin Alma Zadić (Grüne) hat Kocher zur Zustimmung aufgefordert. Es handle sich um „altes Denken“ und „fadenscheinige Gründe“. Auch am Donnerstag ließen die Grünen nicht locker und beharrten auf ihrer Forderung. Sabine Jungwirth, Chefin der Grünen Wirtschaft, argumentiert: „Das Lieferkettengesetz betrifft Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bzw. in Risikosektoren Unternehmen mit mindestens 250 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.“ Auch Arbeiterkammer Oberösterreich-Präsident Andreas Stangl fordert Kochers Zustimmung, denn freiwillige Verpflichtungen würden nicht helfen. Darüber hinaus gibt es auch Firmenvertreter, wie etwa Vöslauer-Chef Herbert Schlossnikl, die für ein strenges Lieferkettengesetz eintreten.
„Scheinargumente“
Deutlich emotionaler in ihrer Kritik äußern sich Menschenrechtsorganisationen und Umweltschützer. „Die Enthaltung von Wirtschaftsminister Kocher basiert auf Scheinargumenten und ist eine demokratiepolitische Farce, die die Gesetzgebungsprozesse der EU infrage stellt. Hier wird Industrie-Lobbying vor die Interessen der Bevölkerung und jener Unternehmen gestellt, die bereits nachhaltig produzieren und gleiche Spielregeln für alle fordern“, sagt Konrad Rehling, Geschäftsführer der Menschenrechtsorganisation Südwind. Auch von Attac Österreich kommt Kritik. Der Wirtschaftsminister zeige, „dass ihm die kurzsichtigen Interessen von Industriellenvereinigung und Wirtschaftskammer wichtiger sind als Menschenrechte, Klima- und Umweltschutz.“
Global 2000 hält Kochers Vorgehen für „demokratiepolitisch bedenklich“. Die Behauptung, dass das Lieferkettengesetz kleinen Unternehmen schaden würde, hält die Umweltschutzorganisation für „vollkommen haltlos“. Die gemeinnützige Bundesstiftung für Lieferkettengesetz Comun mit Sitz im Waldviertel wirft dem Wirtschaftsminister vor, dass er jene Großunternehmen unterstütze, die „auf Verbrechen in ihrer Lieferkette setzten“. Diese würden „Kinderarbeit, moderne Sklaverei und Umweltzerstörung bewusst in Kauf nehmen“.
„Gut gemeint ist nicht gleich gut gemacht“
Der Wirtschaftskammer- und IV-nahe Verein oecolution sieht die Sache naturgemäß anders. Auch beim Lieferkettengesetz zeige sich, „gut gemeint ist nicht gleich gut gemacht“, so Geschäftsführerin Elisabeth Zehetner in einer Aussendung am Donnerstag. „Der vorliegende Entwurf ist ein weiterer Angriff auf die europäische Wettbewerbsfähigkeit und bedarf einer grundlegenden Überarbeitung.“