Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP) will sich bei der am Freitag geplanten Abstimmung zum EU-Lieferkettengesetz enthalten. Das gab das Büro des Ministers am Mittwochnachmittag auf APA-Anfrage bekannt. Justizministerin Alma Zadić vom Grünen Koalitionspartner der Türkisen hatte Kocher erst kurz davor zu dessen Zustimmung aufgefordert. „Der Kompromissvorschlag ist nicht zustimmungsfähig“, hieß es hingegen von Kocher. Die Koalition ist in diesem Punkt damit uneins.
Gewerkschaft, Arbeiterkammer, NGO und Umweltschützer sind für das Vorhaben, sie sehen Nutzen für Menschen und Umwelt. Wirtschaftsvertreter von Wirtschaftskammer (WKÖ) und Industriellenvereinigung (IV) sind dagegen, sie warnen vor einer Überregulierung.
„Wir unterstützen die Ziele der Richtlinie und wollen eine umsetzbare Grundlage“, so Kocher. Aber: „Der aktuelle Richtlinienentwurf ist nicht umsetzbar und wirkt sich stark negativ für Unternehmen sowohl in der EU als auch in den Ländern des globalen Südens aus.“ Im Ergebnis würden viele Pflichten und Haftungsrisiken auf kleine und mittlere Unternehmen überwälzt, sprach Kocher ähnlich der Argumentation der Wirtschaftsvertreter von zuletzt. „Die österreichische Wirtschaft besteht zu 99,6 Prozent aus KMU. Es besteht die Gefahr, dass kleine und mittlere Unternehmen weltweit aus internationalen Lieferketten gedrängt werden. Wir dürfen Europas Position in der Weltwirtschaft nicht schwächen“, so Kocher. „Daher werde ich auf europäischer Ebene für eine Rückkehr an den Verhandlungstisch eintreten, um Verbesserungen im Kompromisstext zu erzielen. Wir haben dazu konkrete Vorschläge, weil wir eine starke, aber umsetzbare Lieferkettenrichtlinie wollen.“
Deutschland will sich auch enthalten
Erst dieser Tage war bekanntgeworden, dass sich das gewichtige EU-Mitgliedsland Deutschland ebenso enthalten wolle. Dem Vernehmen nach überlegen das seither einige weitere EU-Staaten. Für eine Annahme des Lieferkettengesetzes ist eine qualifizierte Mehrheit nötig.
Durch das EU-Lieferkettengesetz sollen große Unternehmen zur Rechenschaft gezogen werden, wenn sie etwa von Kinder- oder Zwangsarbeit außerhalb der EU profitieren. Größere Unternehmen müssen zudem einen Plan erstellen, der sicherstellt, dass ihr Geschäftsmodell und ihre Strategie mit der Einhaltung der Pariser Klimaziele zur Begrenzung der Erderwärmung vereinbar sind.
„Wir können es uns nicht leisten, auf altes Denken zu hören, das fadenscheinige Gründe sucht, warum es hier keine Verbesserungen geben soll“, appellierte Zadić in einem Statement gegenüber der APA. „Mit einem starken Lieferkettengesetz könnten wir endlich wirksam gegen die Ausbeutung von Millionen Kindern vorgehen“, so Zadić. Das Gesetz, das sie „mit aller Kraft unterstützen“ will, biete „eine einmalige Chance, unseren Planeten und seine Artenvielfalt vor weiterer Zerstörung zu schützen und für unsere Kinder und Enkelkinder zu bewahren.“ Zudem schaffe man damit faire Wettbewerbsbedingungen; kleine Unternehmen und Familienbetriebe, die regional wirtschaften, würden gestärkt.
„Wer kann das garantieren?“
Vehement gegen eine Umsetzung des Lieferkettengesetzes stellte sich auch WKÖ- und ÖVP-Wirtschaftsbundpräsident Mahrer. Unter den Wirtschaftsverbänden gebe es eine „fast paneuropäische Ablehnung“. Man bekenne sich zwar zu „mehr Nachhaltigkeit und der Einhaltung sozialer Standards“. Der Wirtschaftsvertreter fragte am Rande einer Pressekonferenz aber, „Wer kann das garantieren?“ Das seien nicht die Unternehmen, aber „Regierungen und Handelsverträge“. „Das ist den Betrieben in weiten Teilen nicht umhängbar“, sagte Mahrer auf Nachfrage der APA.
Ziele im Rahmen von ESG-Kriterien zur nachhaltigen Unternehmensführung seien okay, aber man könne „nicht den Ast abschneiden auf dem man sitzt und sich selbst aus dem Markt herauspreisen“, verwies Mahrer auf eine sinkende Wettbewerbsfähigkeit der österreichischen und europäischen Wirtschaft aufgrund immer höherer Kosten und Auflagen. „Daher muss es heißen, zurück an den Start“, forderte Mahrer. „Machen wir was machbar ist, wo wir einen sinnvollen Beitrag leisten können.“ Das Lieferkettengesetz, so wie es jetzt kommen könnte, sei aber „null praxistauglich, extrem realitätsfern und zudem wird es nicht helfen, Zielsetzungen zu erreichen“, glaubt der WKÖ-Chef.
IV-Präsident Georg Knill sprach zuletzt gegenüber der APA „von der nächsten bürokratischen Lawine“, die auf heimische Unternehmen zurolle. Die Industriellenvereinigung bekräftigte ihre Kritik am Mittwoch. Doch es gibt auch Firmenvertreter, die sich für ein scharfes Lieferkettengesetz aussprechen. So argumentiert Herbert Schlossnikl, Geschäftsführer von Vöslauer in einer Stellungnahme vom Mittwoch fürs EU-Lieferkettengesetz: „Wir wissen, dass menschenrechtliche und ökologische Sorgfaltspflichten nicht im Betrieb und beim unmittelbaren Lieferanten enden. Demzufolge begrüßen wir ein ambitioniertes und klar definiertes Lieferkettengesetz. Nur so wird der Fokus auf die gesamte Lieferkette gelenkt und Verbesserungen für Mensch und Umwelt werden Wirklichkeit.“
„Win-win-Situation für Europa und den globalen Süden“
Für das Lieferkettengesetz hatten sich am Montag bereits zahlreiche Umweltschutzorganisationen, NGOs und politische Akteure stark gemacht und für Kochers Zustimmung plädiert. Auch katholischen Bischöfe appellierten für eine Zustimmung. Ebenso die Arbeiterkammer (AK) ist für eine Umsetzung. Laut AK halte sich der administrative Aufwand in engen Grenzen. Eine „Win-win-Situation für Europa und den globalen Süden“ sei mit dem Lieferkettengesetz möglich. Je stärker das EU-Lieferkettengesetz ausgestaltet sei, desto eher führe es zu Wohlstandsgewinnen im globalen Süden und zu besseren Arbeitsbedingungen.
Aus Sicht des Supply Chain Intelligence Institute Austria (ASCII) könne die Effizienz und Effektivität der Lieferkettenregulierung gesteigert werden, wenn nicht die Beziehungen europäischer Einkäufer mit ihren Lieferanten im Zentrum der Richtlinie stünden, sondern die Lieferanten selbst, argumentierte Institutspräsident Gabriel Felbermayr laut Angaben des Wirtschaftsministeriums. „Mit Negativ- und Positivlisten könnten problematische Lieferanten behördlich benannt und ‚saubere‘ Lieferanten über ein strenges Zertifizierungssystem identifiziert werden. Damit würden die Rechtssicherheit verbessert, eine Entlastung der importierenden Unternehmen erreicht und negative Nebenwirkungen der Regulierung vermindert“, so der Wifo-Chef in anderer Rolle.
In einer Auflistung des Wirtschaftsministeriums, wie sich eine Umsetzung der derzeit geplanten Richtlinie auswirken würde ist unter vielen Punkten davon die Rede, dass die Wirtschaftswachstumsaussichten Europas derzeit ohnehin geringer seien, als jene in den USA und Asien. Bei neuen Gesetzen müsse darauf Bedacht genommen werden, dass die Position in der Weltwirtschaft nicht geschwächt werde. Auch könnten sich Firmen aus gewissen Märkten zurückziehen, um Sorgfaltspflichten nicht unverschuldet zu verletzen. Überwachungskosten seien gerade für kleinere Firmen nicht tragbar.
Zur entwicklungspolitischen Komponente, auf die NGO und Co besonders pochen, heißt es im Papier des Wirtschaftsministeriums wörtlich: „Wenn sich Firmen aus unsicheren Märkten zurückziehen, weil sie Sorgfaltspflichten entlang der Lieferkette nicht garantieren können, wird es auch entwicklungspolitische Auswirkungen geben. Es ist auch ein Problem für den Wettbewerb, weil nur große Firmen die erforderlichen Nachweise erbringen können. Dadurch werden kleinere Unternehmen, die die Richtlinien eigentlich schützen möchte, gerade in den Ländern des globalen Südens aus dem Markt gedrängt. Die Entwicklungszusammenarbeit hat in den vergangenen Jahren insbesondere kleine und mittlere Betriebe unterstützt, die einen sozialen und nachhaltigen Effekt vor Ort haben.“