Es gab einen alten Spruch in der Autobranche. Kränkelt der Automarkt in China, fällt die europäische Autoproduktion ins Koma. Über Jahre hat der Auto-Boom in China den Europäern fette Gewinne beschert, nirgendwo werden weltweit mehr Autos verkauft.
Jetzt drehen die Chinesen den Spieß um. In China hat BYD den europäischen Riesen Volkswagen im Jahr 2023 als Nummer eins in der Zulassungsstatistik abgelöst und erstmals Tesla im letzten Quartal überholt. Als Zeichen nimmt man 2024 den Europäern auch noch die Fußball-Europameisterschaft. BYD wird statt Volkswagen als offizieller Autopartner ablösen.
Gigantische Produktionskapazitäten werden derzeit in China aufgebaut. In Chinas Werften, etwa in der Nähe von Shanghai, entstehen riesige Frachtschiffe, so groß wie nie zuvor. 200 Meter, also doppelt so lang wie ein Fußballfeld, 38 Meter breit und auf den Etagen ist Platz für 8000 bis 9000 Autos. Pro Frachter.
Laut dem Magazin Wirtschaftswoche haben die chinesischen Hersteller 76 dieser Riesen-Frachter bestellt. Alleine BYD, inzwischen Weltmarktführer bei elektrifizierten Fahrzeugen - hat acht Frachter geordert. Und 2026 eröffnet man das erste Werk in Europa, in Szeged/Ungarn, produziert also nicht bei Magna in Graz, wie erhofft.
China, der größte Autoproduzent der Welt in Zahlen
Innerhalb weniger Jahre haben die Chinesen die Macht in der Autowelt übernommen, sie produzieren so viele Autos (27 Millionen im Jahr 2022) wie die USA (10,1 Millionen), Japan (7,9 Millionen), Indien (5,5 Millionen) und Südkorea zusammen. Europa (knapp vier Millionen) ist Schlusslicht in der Statistik.
„Man muss in den nächsten zehn Jahren sehr stark mit den chinesischen Herstellern rechnen“, sagt Hansjörg Mayr, Vorstand bei Denzel, das mit jahrelanger Vorarbeit drei chinesische Marken nach Österreich gebracht hat. MG aus der chinesischen SAIC-Gruppe, die Nutzfahrzeuge von Maxxus und natürlich BYD. „Es werden in unserer Einschätzung zwischen zehn und 15 chinesische Marken in Europa und Österreich ihr Glück versuchen“, so Mayr. Nicht alle werden es freilich schaffen, aber der Kuchen für alle wird kleiner, die Chinesen sind dabei, bedingt durch Digitalisierung und Technologiewechsel auf E-Mobilität, die Weltherrschaft im Autobau zu übernehmen. Denzel will im kommenden Jahr mit seinen Marken die Stückzahlen verdoppeln. Inzwischen gewinnt man sogar öffentliche Ausschreibungen.
Ausgelacht und verspottet
Dabei wurden die Chinesen ausgelacht, persifliert und verspottet. Doch die Joint Ventures, in die europäische und andere Hersteller in China gezwungen wurden und der Technologiewandel Richtung Digitalisierung und Elektromobilität haben den Vorsprung der alteingesessenen Hersteller wie Volkswagen oder Stellantis, schmelzen lassen. Das Geschäft wurde auf den Kopf gestellt, weil die Chinesen früher als andere eine Art Planwirtschaft daraus machten, subventioniert mit Milliarden der chinesischen Regierung.
Rohstoffe, Batteriekompetenz, Aufbau von Batteriekapazitäten, Software, darauf haben sich die Chinesen letztlich spezialisiert und einen nahezu uneinholbaren Vorsprung eingefahren. 2023 zum Beispiel verkaufte BYD knapp über drei Millionen elektrifizierte Fahrzeuge. Das sind vier Fünftel der europäischen Autoproduktion, nur um die Relationen der heutigen Kräfteverhältnisse einzuordnen.
Tesla überholt, Volkswagen abgelöst
Inzwischen hat BYD sogar Tesla überholt, verkauft in China mehr Autos als die einstige Nummer eins Volkswagen und legte bei den Verkäufen 2022 um 73 Prozent (E Autos, 62 Prozent inklusive Plug-in-Hybride) zu. Zum Vergleich: Tesla wuchs um 38 Prozent. In Österreich verkaufte BYD im ersten Jahr über 1000 Autos. Kein Neueinsteiger hat das in den letzten Jahren zu seinem Debüt geschafft.
Vom Handy zum Auto
BYD-Gründer Wang Chuanfu (geboren 1966) wird in China verehrt. Seine Eltern waren Bauern, starben früh. 1995 gründete der studierte Chemiker BYD („Build your Dreams“, „Baue deine Träume“), und baute ein Batterie-Imperium auf. Zuvor hatte er noch im Auftrag der chinesischen Regierung an Rohstoffen für Batterien, wie den seltenen Erden, geforscht, das Wissen setzte er mit Handybatterien für Nokia, Motorola um, BYD wurde zum größten Batterieproduzenten für Mobiltelefone. 2003 legte man den Grundstein für die Mobilitätsschiene, indem man einen gescheiterten chinesischen E-Auto-Hersteller kaufte. Außerdem entwickelte sich BYD zu einem der größten Produzenten von Batteriezellen und von Energiesystemen, man baut E-Busse genauso wie E-Autos.
Selbst Warren Buffet investierte schon vor Jahren in BYD und Wang Chuanfu soll ein Vermögen von 18 Milliarden Dollar besitzen. BYD wird scherzhalber auch mit „Bring Your Dollars“ übersetzt.
Günstigere Batterien
Die Chinesen haben ihr Potenzial freilich noch nicht einmal ausgeschöpft. Chinas Macht liegt, wie bereits berichtet, in der Wertschöpfung. Rohstoffe, Batterien, E-Motoren: China produziert günstiger, begleitet von hohen Subventionen. Ein paar Zahlen aus einer UBS-Analyse verdeutlichen die Kräfteverhältnisse: Batterien eines europäischen Herstellers kosten rund 50 Euro pro Kilowattstunde. Beim BYD-Modell Seal sind es lediglich 30 Euro. Ähnlich verhält es sich beim E-Motor, insgesamt liegt man , geschätzt von Experten, rund ein Drittel unter den Kosten der Europäer bei der elektrischen Antriebseinheit.
Chinesen als Taktgeber
Und China ist Taktgeber in der Batterietechnik und in der Software. Setzen die Chinesen den hohen eigenen Wertschöpfungsanteil (75 Prozent) voll ein, könnten sie Preise realisieren, mit denen die Europäer nicht mithalten. Mit der Masse an Modellen, die China für Europa geplant hat, ist das ein reales Szenario, auch weil man kleine, günstigere E-Autos schneller im Portfolio sehen wird. China produziere insgesamt um ein Fünftel günstiger als in Europa, heißt es.
Keine hohen Preisunterschiede
Schon heute zählt man in China über 2,3 Millionen exportierte PKW. Aber die Mär, dass die chinesischen Hersteller in Europa um Welten günstiger seien, stimmt freilich nicht. Man spricht in der Branche eher von entsprechenden Preisunterschieden aufgrund der Marktsituation, wenn ein neuer Hersteller auftaucht. Auch die BYD-Produktion in Ungarn werde die Preise in Europa nicht reduzieren, stellt Mayr klar.
Aber das Start-up Li lässt in China Muskeln spielen und setzt Dumping-Preise für seine SUVs im Kampf gegen die europäischen Hersteller an.
Vorteil: Batterie und Software
Mayr sieht bei den Chinesen zwei andere entscheidende Faktoren: „Die Batterie, die Anzahl der Ladezyklen und die Software sind die wertbestimmenden Faktoren eines Elektro-Autos. Wenn wir uns vorstellen, das ein Handy ist nichts mehr wert ist, wenn man es nicht mehr updaten kann, dann ist die Zukunftsfähigkeit der Software eben ein wertbestimmender Faktor in den Bereichen Restwert und Preisstabilität.“ Und: Je besser die Software und die Batteriezelle, desto besser könne man die Reichweite zum Beispiel ausreizen.
Man müsse natürlich unterscheiden, wie Mayr betont: Die Marken BYD, MG, aber auch Chery oder Great Wall (demnächst auch in Österreich erwartet) seien inzwischen g‘standene Hersteller, genauso wie Geely (Großaktionär bei Mercedes sowie Mehrmarkenreich mit Smart, Volvo, Polestar). Österreichische High-tech-Unternehmen arbeiten längst an der Entwicklung der Chinesen mit.
Nio, mit seiner Idee eines Akkutauschs statt des Ladens, oder Xpeng (VW ist dort eingestiegen) seien klassische Start-ups, die aus dem digitalen Bereich kommen.
Strafzölle in Planung
Der Weg der Chinesen war lange geplant war und mit Milliarden von der chinesischen Regierung subventioniert. Die Europäische Kommission untersucht inzwischen die Subventionspraxis und erwägt AntiDumping-Zölle. Einzelne Länder wie Frankreich berechnen den CO2-Rucksack (Rohstoffe, Transporte etc.). Das schmälert dort die Chancen auf Kauf-Förderungen für chinesische Modelle. Das Problem dabei: Auch europäische Joint-Venture-Partner sollen von Subventionen profitiert haben. Einige ursprünglich europäische Fahrzeuge werden heute ja in China produziert, etwa der neue Mini oder der neue Smart.
Aber wie fühlt sich jetzt ein chinesisches Auto an? Egal, ob MG oder BYD: Die Unterschiede schwinden, heuer ist sogar BYD mit dem Seal erstmals im Finale zur Wahl des Auto des Jahres, das von einer 59-köpfigen Jury in Europa (auch die Kleine Zeitung ist mit einem Platz vertreten) gewählt wird. Gestaunt wird am ehesten noch über die Ausstattung: In China ist in einem BYD ein Mikrofon Pflicht. Es wird nicht geschimpft, sondern Karaoke gesungen im Stau, heißt es mit einem Augenzwinkern.