Das moderne Auto ist längst schon ein Datenspeicher. Der deutsche Automobilclub ADAC hat bereits Anfang der 20er-Jahre untersucht, wie viele Daten ein modernes Auto speichert und weitergibt. Die Ergebnisse sind überraschend wie beängstigend, der Datenhunger grenzenlos.
Über 100 Sensoren sowie Kameras lassen das moderne Auto zum unermüdlichen Datensammler mutieren. Mit dem heurigen Jahr 2024 kommen außerdem ausgeklügelte Systeme zum Zug (siehe Infobox), die das Sammeln der Daten institutionalisieren. Die Auswirkungen der neuen Systeme sind sicherheitsfördernd wie nervend zugleich.
Rollende Alarmanlagen
Bei Übertretung der gesetzlichen Vorgaben werden die neuen Fahrzeuge zu rollenden Alarmanlagen. Es piepst beim ersten km/h einer Geschwindigkeitsübertretung genauso wie beim Verlassen der Spur, oder, wenn man abgelenkt bzw. müde ist (Augenscanner). Gewarnt wird mittels Tönen und visuellen Signalen. Das Piepsen lässt einen bisweilen verzweifeln. Die chinesischen Hersteller wie Nio entwickeln längst digitale Beifahrer, die ihre menschlichen Lenker ermahnen oder loben, je nachdem.
Besserwisserisches Auto
Manche fühlen sich bevormundet, wenn das neue Auto besserwisserisch agiert. Hersteller haben längst digitale Automatismen eingebaut, die warnen, dass man sein Handy vergessen hat, oder den Fahrer dazu auffordern, sich zu vergewissern, dass keine Kinder oder Tiere mehr im Wagen sind. Bei manchen Fahrzeugen lässt sich dann das Auto erst gar nicht verschließen, wenn das der Fall wäre – der Innenraum wird gescannt.
Was 2024 in der EU verpflichtend wird, toppt aber das alles. Wie der intelligente Geschwindigkeitsassistent etwa: Die vorgeschriebene Geschwindigkeit wird über Kameras, Kartendaten oder Infrastruktursignale erfasst. Bei Überschreiten des Limits warnt das Fahrzeug oder es erfolgt eine automatische Übernahme von Tempolimits in den Tempomat oder Geschwindigkeitsbegrenzer. Ein Deaktivieren muss möglich sein, bei jedem Starten des Fahrzeugs ist er automatisch wieder aktiv.
Blackbox wie im Flugzeug
Sogar eine Blackbox findet ins Auto, die eine ereignisbezogene Datenaufzeichnung bei einem Unfall schafft. Offiziell dürfen keine Rückschlüsse auf Fahrzeug und Lenker gezogen werden, die Daten dürfen nur zur Unfallforschung benutzt werden, aber die Intention ist klar: Mit den Daten kann man das autonome Fahren weiter vorantreiben, unfallträchtige Kreuzungen, Fehlverhalten systematisch ausschalten und die Datenschätze in die Systeme der Hersteller einfließen lassen. Der ehemalige VW-Chef Herbert Diess sagt, ab 2030 werden die neuen Autos bereits autonom fahren. Übrigens: Auch alkoholempfindliche Wegfahrsperren werden 2024 mit Schnittstellen vorbereitet, damit sie einfacher eingebaut werden können.
Kleinwägen werden zu teuer
Der Nebeneffekt dieser digitalen Revolution: In Kleinwägen, die geringere Margen abwerfen, sind diese Maßnahmen fast nicht mehr zu realisieren, weil die hohe technische Entwicklungsstufe ein Preistreiber ist. Erst in der Masse wird man günstiger produzieren können.
Die Daten sind die eine Seite. Die daraus resultierenden Geschäftsmodelle sollen Hunderte Milliarden Dollar wert sein. Denn Autos können minutenweise Daten übermitteln und speichern.
Was wir Autofahrer über unseren Stil verraten
Um zu verdeutlichen, was wir alles über uns im Auto verraten: Sogar die Anzahl der Gurtstraffungen, der Brems- und Beschleunigungsmanöver, oder wie hochtourig wir unterwegs sind, erzählt über uns viel, weil das Rückschlüsse auf den Fahrstil erlaubt. Und damit Fahrzeug-Versicherer interessiert. Intelligente Scheibenwischer mit Onlinemodulen können exakte Wetterdaten aus jedem Winkel des Landes in Echtzeit übermitteln, der Autohersteller könnte die Daten an Wetterdienste verkaufen.
In Deutschland fragten Kommunen bei Autoherstellern an, ob die Kameras von Autos für die Überwachung des Straßenzustandes eingesetzt werden können. Freilich gegen Bezahlung – an die Hersteller. In den USA kennt man Experimente, bei denen Kameras auslesen, wie Autofahrer in Staus auf Werbung im Umfeld reagieren. Erfasst die Gesichtserkennung eine positive Reaktion, könnten in Zukunft ad hoc Angebote eingespielt werden.
Das, was uns als „rollender Computer“ verheißungsvoll in eine bessere, mobile Zukunft bringen soll, sind Datenlabore, die uns auslesen. Das gläserne Auto ist damit Realität.
Verbrauch wird bereits überwacht
Schon seit 2021 müssen Autohersteller alle Daten über den tatsächlichen Treibstoff bzw. Stromverbrauch an die europäische Umweltagentur übermitteln. Diese Daten, erfasst und gespeichert über die Software „On-Board Fuel Consumption Meter“, werden unseren Umgang mit Autos verändern. Auf den ersten Blick erscheint die EU-Überwachung der Realverbräuche als ein logisches Ansinnen: Es geht um die Diskrepanz zwischen den offiziellen Verbräuchen und dem realen Spritdurst. Hier könnte die EU bei hohen Überschreitungen eingreifen, die Automobilkonzerne unter Druck setzen.
Aber das ist noch lange nicht alles. Von neuen Tempolimits aufgrund zu hoher Verbräuche bis zur individuellen CO₂-Steuer für jene, die weit mehr Energie für ihr Auto aufwenden, als durchschnittlich aufgrund von Vergleichsdaten erklärbar wäre. Freilich gilt auch: Dafür könnten jene, die besonders sparsam fahren, steuerlich entlastet werden.
Plug-in infrage gestellt
Eine erste, direkte Folge, gibt es schon: Plug-in-Hybride sollen nicht mehr gefördert werden und auch ihre steuerlichen Vorteile verlieren, das wird diskutiert. Weil man nachweisen kann, dass zu viele Plug-in-Hybrid-Besitzer nicht elektrisch aufladen, sondern die Autos nur gekauft haben, um die Vorteile zu lukrieren – aber letztlich aufgrund des höheren Gesamtgewichts mehr verbrauchen.