Nach dem Zinserhöhungsstakkato im Kampf gegen die Inflation stehen bei der Europäischen Zentralbank (EZB) und der US-Notenbank Fed für 2024 alle Zeichen auf Kurswende. Denn der Teuerungsschub ist inzwischen diesseits und jenseits des Atlantiks merklich abgeebbt. Die von den Notenbanken angestrebten zwei Prozent Inflation rücken eher wieder in Reichweite.
Damit kommt es auf den Finanzmärkten zu Zinssenkungsfantasien. Manche Währungshüter warnen bereits davor, die Zinssenkungsspekulationen zu übertreiben.
EZB-Präsidentin Christine Lagarde versuchte Mitte Dezember alles, um die Spekulationen etwas einzufangen: „Wir haben Zinssenkungen überhaupt nicht besprochen.“ Zwischen Zinserhöhung und -senkung liege ein ganzes Plateau, auf dem das Halten des geldpolitischen Kurses angesagt sei. Besonders deutlich wurde Bundesbank-Präsident Joachim Nagel. Zwar sei der Zinshöhepunkt wohl erreicht. „Allen, die deshalb gleich auf eine baldige Zinssenkung spekulieren, sage ich: Vorsicht, es haben sich schon manche verspekuliert.“
Mit ersten Zinssenkungen wird im März oder April gerechnet
Am Finanzmarkt sind derzeit für 2024 EZB-Zinssenkungen im Gesamtumfang von 1,50 Prozentpunkten in den Kursen enthalten. Damit würde der am Markt maßgebliche Einlagensatz, den Geldhäuser bekommen, wenn sie bei der Notenbank überschüssige Liquidität parken, Ende 2024 bei 2,50 Prozent liegen. Aktuell steht er bei 4,00 Prozent. Der Leitzins, zu dem sich Banken frisches Geld bei der Notenbank besorgen können, liegt derzeit bei 4,5 Prozent. Mit ersten Zinssenkungen wird im März oder April gerechnet.
Warnung vor einem „überhasteten Umschwenken“
Jens Eisenschmidt, Chefökonom Europa bei der US-Bank Morgan Stanley, ist vorsichtig: „Wir bleiben bei unserer Grundannahme, dass die EZB die Zinsen nicht vor Juni nächsten Jahres senken wird, sehen aber zwei Risiken.“ So könne der erste Schritt nach unten stärker ausfallen als die von ihm erwarteten 0,25 Prozentpunkte. „Und er könnte früher geschehen.“ Der Inflationsschock sei groß gewesen, als der Preisschub eingesetzt habe. Die geldpolitische Antwort darauf sei ebenso heftig ausgefallen. „Und wir könnten am Ende sehr wohl überrascht sein, wie sich die Inflation auf dem Weg nach unten entwickelt, angesichts all der starken Kräfte, die auf die Wirtschaft des Euroraums einwirken.“
Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer warnt vor einem überhasteten Umschwenken der EZB. „Ein frühes Einknicken der EZB birgt das Risiko, dass sich die Inflation am Ende auf einem zu hohen Niveau einpendelt und die EZB zur Wiederherstellung ihrer Glaubwürdigkeit gezwungen ist, ihre Zinserhöhungen wieder aufzunehmen.“
In den USA hatte Fed-Direktor Christopher Waller bereits Ende November ein Signal gesetzt, dass schon bald eine neue Ära der Zinssenkungen anbrechen dürfte. Es gebe gute ökonomische Argumente für eine geldpolitische Lockerung, falls die Inflation noch weitere Monate zurückgehe, sagte er und löste damit Zinssenkungsfantasien aus.
„Weiche Landung“ für US-Wirtschaft?
Die US-Währungshüter machten mit ihrem Zinsausblick Mitte des Monats klar, dass sie nach den zurückliegenden, teils aggressiven geldpolitischen Zinserhöhungen 2024 wieder nach unten wollen - und zwar um voraussichtlich 0,75 Prozentpunkte. Keiner der Fed-Oberen sieht Ende nächsten Jahres ein höheres Zinsniveau als jetzt, das die Notenbank zuletzt drei Sitzungen in Folge im Korridor von 5,25 bis 5,50 Prozent einzementierte.
Die Finanzmärkte wirkten von der Aussicht auf sinkende Kreditkosten euphorisiert. Das Team um den Deutsche Bank-Experten Jim Reid verweist darauf, dass für 2024 mit bis zu sechs Zinsschritten nach unten gerechnet wird: „Das ist normalerweise ein Tempo, das man bei einer Rezession erwarten könnte.“ Dies ist jedoch nicht das Basis-Szenario der US-Zentralbank, die von einer sogenannten „weichen Landung“ ausgeht.
„Konservative Töne einzelner Notenbankmitglieder verhallen“
Demnach würde es der Fed gelingen, die Inflation einzudämmen, ohne dass eine tiefe Rezession ausbricht und es zu Verwerfungen am Arbeitsmarkt kommt. Auch US-Finanzministerin Janet Yellen erwartet, dass der Zentralbank eine solche sanfte Landung gelingen wird. Die Vorgängerin Powells an der Spitze der Fed hält das Risiko einer Rezession für nicht besonders hoch. Dass die Anleger dennoch mit einer aggressiven Gangart beim Herunterfahren des Leitzinsniveaus rechnen, zeigt, dass auch in den USA die Signale der Notenbanker nicht entsprechend am Markt ankommen.
„Kommentare aus der US-Notenbank Fed, die die hohen Zinssenkungserwartungen wieder etwas einfangen sollten, werden vom Markt in bekanntem Stil ignoriert“, meint Jochen Stanzl, Chef-Marktanalyst bei CMC Markets. „Solange der Chef in Persona Jerome Powell die Musik weiter spielen lässt, verhallen konservative Töne einzelner Notenbankmitglieder wie das Rauschen im Blätterwald.“ Powell hatte nach dem jüngsten Zinsbeschluss betont, dass die Frage ins Blickfeld rücke, wann eine Lockerung angebracht sein werde: „Das wird ein Thema für uns.“ Der Fed-Chef gab damit den Grundton für das Jahr 2024 vor, das ein Ende der Hochzinspolitik in den USA und wohl auch in der Eurozone markieren dürfte.