Vor 50 Jahren war der Lack ab im Wirtschaftswunderland. Die Energiekrise, der Konjunkturabschwung und die hohe Inflation bescherte Deutschland eine Rekord-Arbeitslosigkeit, Industrie, Bau und Handel knickten ein und wurden zu Sorgenkindern. Speziell die Autobranche fuhr mit einem Produktionsminus von 18 Prozent im Retourgang und schwer in die roten Zahlen.
Am härtesten hatte es Volkswagen getroffen, wo die Verkäufe des Käfers eingebrochen und der Aktienkurs tief in den Keller gerasselt war. In Wolfsburg bahnte sich ein Waterloo an, geschuldet freilich auch einer miserable Modellpolitik. Es rächte sich, zu lange am Käfer und der technischen Monokultur festgehalten zu haben, alles was danach bei VW vom Fließband purzelte, taugte nicht für einen Platz an der Sonne.
Der Rettungswagen
Der Rettungswagen von Volkswagen fuhr im Frühjahr 1974 als Golf vor und war auf den ersten Blick alles, nur kein Volkswagen wie man ihn kannte. Italiens Designgroßmeister Giorgio Giugiaro hatte einen sehr sachlichen kompakten Viersitzer mit Heckklappe gezeichnet, das Raum sparende Quermotor-Frontantriebskonzept war von Audi gekommen. An sich war der 3,8 Meter lange Golf keine Revolution und folgte nicht bloß technisch der Spur, den andere Marken schon vor dem Golf erfolgreich gelegt hatten.
Umso erstaunlicher, dass der Golf vom Start weg zum Verkaufsschlager geriet. Trotz der konstruktiven Wende hatte sich schnell das Image des Käfers auf ihn übertragen. Vor allem aber die Klassenlosigkeit, die den Golf bis heute auszeichnet. Er war für ein ganzes Segment namensspendend, wie es danach auch der GTI tat, der zum Maß der Dinge wurde. Über Jahrzehnte und acht Generationen hinweg war der Golf Benchmark, Trendsetter und Dauerbestseller. Europaweit. In Deutschland führt er immer noch die Hitparade an. Mit über 35 Millionen Exemplaren ist der Golf eines der meistgebauten Autos der Welt.
Die elektrische Zukunft
Jetzt aber zur Beantwortung der wesentlichen Frage: Wie geht es mit dem Golf im Elektrozeitalter weiter? Nach einigen kryptischen Bemerkungen aus Wolfsburg-Kreisen hörte man schon die Sterbeglocke des Evergreens läuten. Doch jetzt scheint klar: Volkswagen wird sein wertvollstes Modell nicht einmotten. Es gilt als gesichert, dass der Name vorerst einmal nicht aufgegeben wird. Vielmehr dürfte der Golf 9 zu einem Teil der ID-Reihe werden. Wie man hört, soll aus dem ID.3 der ID.Golf werden, den es aber auch weiterhin mit Verbrennungsmotoren geben wird. Ein Plug-in-Hybrid soll eine elektrische Reichweite bis zu 100 Kilometern garantieren.
Der Modellzyklus des aktuellen Golf 8 endet im Jahr 2027. Ende Jänner wird Volkswagen ein letztes Facelift präsentieren und dabei auch Licht ins Dunkel bringen. Zum Auftakt des Jubeljahres ist mit einer erfreulichen Botschaft zu rechnen.
Im Rückspiegel: Die Österreich-Story
Musste sich der Golf in Österreich in den ersten drei Jahren noch den Spitzenplatz in der Zulassungsstatistik mit dem Käfer teilen, startete der kompakte Volkswagen ab 1978 so richtig durch und war dann ohne Unterbrechung 40 Jahre lang das meistverkaufte Automobil in der Alpenrepublik. Erst 2018 verlor er – bedingt durch hausinterne Konkurrenz – diese Position. In den Top 5 hat der Golf aber heute seinen Stammplatz. In 50 Jahren wurden in Österreich weit mehr als eine Million Golf verkauft. Einen wesentlichen Anteil hatte daran das Sondermodell Rabbit, eine Erfindung des Importeurs Porsche Austria vor 45 Jahren. Klar, dass man zum 50. Geburtstag exklusiv in Österreich einen Jubiläums-Hasen auflegt.
Knapp zwei Jahre lang wurde auch ein Golf in Österreich produziert: Volkswagen ließ von 1990 bis 1991 beim Grazer Auftragsfertiger Steyr-Puch den Golf Country montieren. Vom hochgestellten Offroad-Golf kamen insgesamt 7.735 Fahrzeuge auf den Markt. Das GTI-Treffen am Wörthersee ist ein eigenes Kapital: es wurde Kult, Fluch und Segen.
Hinter der Erfolgsgeschichte des Golfs steht übrigens auch ein österreichischer Techniker: Ernst Fiala. Der heute 94-jährige Professor aus Wien war Entwicklungsvorstand von Volkswagen, als der Golf 1974 lanciert wurde. Fiala wurde stets als Vater des Golfs bezeichnet. Zumindest der maßgebliche Geburtshelfer war er.
Gerhard Nöhrer