Wenn Österreich bis 2040 klimaneutral werden soll, wird sich der Stromverbrauch bis dahin verdoppeln, die Erzeugungskapazität muss sogar verdreifacht werden, sagt Verbund-Chef Michael Strugl. „Wir werden bauen, bauen, bauen“, kündigte Strugl am Donnerstag im Klub der Wirtschaftspublizisten an. Alleine im Bereich der Wasserkraft habe man mehr als 20 Projekte in der Pipeline.
Die österreichischen Stromerzeuger schätzen, dass der Strombedarf bis 2040 auf 135 bis 140 Terawattstunden (TWh) steigen wird, das ist das Doppelte des heutigen Verbrauchs. Schon bis 2030 wird der Bedarf auf ungefähr 100 TWh steigen. Der österreichische Netzinfrastrukturplan (ÖNIP) gehe sogar von einer größeren Strommenge aus, nämlich nicht von zusätzlichen 27 TWh bis 2030 (wie es im Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz steht), sondern von 39 TWh zusätzlich.
Diese Verdoppelung der Menge bedeute eine Verdoppelung der Erzeugungskapazität, erklärte Strugl. „Wir haben in Österreich gut 2000 Windstunden, wir haben ungefähr 1100 Sonnenstunden, das Jahr hat aber 8760 Stunden.“ Deshalb sei ein „unglaublicher Ausbau der Netze und Speicher“ notwendig. Derzeit decke Strom ungefähr ein Fünftel des gesamten Energieverbrauchs in Österreich ab. Deutlich mehr als die Hälfte des Endenergieverbrauchs werde von fossilen Energieträgern gedeckt – vor allem im Verkehr hauptsächlich Öl und in der Produktion vor allem Gas.
„Das ist die Ambition, die tatsächlich herausfordernd ist“
Österreich habe besonders ehrgeizige Klimaziele und müsse daher die Erneuerbaren schneller ausbauen. „Wenn Sie ungefähr annehmen, dass wir in Österreich einen Endenergieverbrauch brutto haben von 300 TWh, ungefähr ein Drittel davon ist derzeit erneuerbar, dann sollten wir die restlichen zwei Drittel, also 200 TWh bis 2040, dekarbonisieren. Das ist die Ambition, die tatsächlich herausfordernd ist.“
Die Stromübertragungsnetze seien derzeit „am Anschlag“, so der Verbund-Chef. Im vergangenen Jahr habe man an 237 von 365 Tagen eingreifen müssen, um das System zu stabilisieren („Redispatch“). Die Kosten von 100 Mio. Euro hätten die Stromkunden bezahlt. Heuer werde man in einem ähnlichen Ausmaß eingreifen müssen, mit noch höheren Kosten. Der Verbund und seine 100-Prozent-Tochter APG hätten für die Übertragungsnetze – im Wesentlichen 380- und 220-kV-Leitungen – ursprünglich ein Investitionsvolumen von 3,5 bis 4 Milliarden Euro bis 2030 geplant. Nun gehe man von einem Investitionsbedarf von 9,1 Mrd. Euro bis 2034 aus, um ungefähr 900 km zusätzliche Leitungen, zusätzliche Umspannwerke und Trafostationen zu bauen.
„Der Verbund wird in dieser Dekade mehr als 15 Milliarden Euro in Netze, Erzeugung und Speicher investieren“, sagte Strugl. Für die nächsten drei Jahre gebe es schon einen beschlossenen Investitionsplan mit einem Volumen von 4,6 Milliarden Euro. Davon sollen 1,7 Milliarden in die Netze fließen, 1,2 Milliarden in die Wasserkraft und 1,1 Milliarden in erneuerbare Erzeugung aus Sonne und Wind. Bei der Wasserkraft habe man mehr als 20 Projekte in der Pipeline.
„Dividende fließt zu 80 Prozent an öffentliche Eigentümer“
2024 soll die Erweiterung der Speichergruppe Reißeck im Kärntner Mölltal fertig werden. Das Projekt Limberg 3 in Kaprun soll 2025 abgeschlossen werden, dort werden rund 580 Millionen Euro in zusätzliche 480 MW Flexibilität investiert. Das Kraftwerk Gratkorn wird nächstes Jahr in Betrieb gehen. Für das Kraftwerk Stegenwald war heuer der Spatenstich, 2025 soll es fertig werden, wenn auch die Salzburg-Leitung in Betrieb gehen soll. Dazu gebe es eine ganze Reihe von Revitalisierungsprojekten, berichtete Strugl.
Finanzieren könne der Verbund einen größten Teil dieser Projekte aus dem Cashflow. „Wir haben sehr gute Ergebnisse, und mit diesem Geld, das wir verdienen, können wir unsere Investitionen auch entsprechend stemmen.“ Jeder verdiente Euro, der nach Abzug von Steuern, Abschöpfung des Energiekrisenbeitrags und Ausschüttung der Dividende übrig bleibe, werde investiert. Die Dividende fließe zu 80 Prozent an öffentliche Eigentümer.
Die Gewinnabschöpfung sei zwar schmerzhaft, aber der Energiekrisenbeitrag Strom sei in Österreich „relativ vernünftig“ geregelt, weil man sich 50 Prozent der geleisteten Investitionen anrechnen lassen könne. Die Abschöpfung habe bis zum dritten Quartal 77 Millionen Euro betragen.
„Ein bisschen im Verzug, um es einmal diplomatisch zu sagen ...“
Was für einen schnelleren Infrastruktur-Ausbau noch fehle, seien die entsprechenden Rahmenbedingungen. Beim Elektrizitätswirtschaftsgesetz, dem Nachfolge-Gesetz des ElWOG, sei man „ein bisschen im Verzug, um es einmal diplomatisch zu sagen“. Das sei das wichtigste Grundgesetz, mit dem auch die Strom-Binnenmarktrichtlinie umgesetzt werden soll. „Es sollte jetzt bald kommen, um einem Vertragsverletzungsverfahren zu entgehen.“ Ebenfalls ausständig sei auch noch das Erneuerbaren-Ausbau-Beschleunigungsgesetz („EABG“). Es müssten etwa Flächen ausgewiesen werden, auf denen Windräder und PV-Anlagen stehen können, außerdem wünscht sich Strugl u.a. eine Behörde, bei der alle Verfahren konzentriert sind, sowie eine Genehmigungsfreistellung für kleinere Anlagen.