„Beispiellos“ – wenn es um die Geldpolitik der jüngeren Vergangenheit geht, ist diese Zuschreibung häufig zu hören. Und das nicht zu unrecht. Das Jahr war sowohl in den USA als auch in der Euro-Zone von weiteren Zinserhöhungen geprägt, wenngleich mittlerweile beide großen Zentralbanken, also die US-Notenbank Fed sowie die Europäische Zentralbank (EZB), auf die Pausetaste gedrückt haben. Die Fed bereits im Sommer, die EZB Ende Oktober.
Die Fed steht damit weiterhin bei einer Zinsspanne zwischen 5,25 und 5,5 Prozent, die EZB hält bei einem Leitzinssatz von 4,5 Prozent. Im Kampf gegen die lange Zeit viel zu hohe Inflation haben beide Institutionen in einem nie da gewesenen Tempo die Zinsen erhöht, die EZB – bis zur Zinssitzung im Oktober – zehnmal in Folge.
Am Mittwoch tagt nun die Fed zum letzten Mal in diesem Jahr, am Donnerstag folgen dann die EZB, aber auch die Bank of England sowie die Schweizerische Nationalbank. Was ist zu erwarten? Weder Fed noch EZB dürften an der Zinsschraube drehen, das ist zumindest die de facto einhellige Erwartung von Ökonominnen und Ökonomen.
Warum den kommenden Tagen dennoch mit sehr viel Spannung entgegengeblickt wird, hat damit zu tun, dass umfassende Prognosen zur Inflations- sowie zur Konjunkturentwicklung vorgestellt werden sollen. Daraus, so die Erwartung, könnten sich erste Hinweise ableiten lassen, wie es mit dem Zinskurs im nächsten Jahr weitergeht.
Die Inflationsrate ist in den USA auf zuletzt 3,1 Prozent gesunken, in der Euro-Zone im November – laut Schnellschätzung – sogar auf 2,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat. Daher haben Spekulationen über eine – womöglich früher als noch vor Kurzem angenommene – Zinswende nach unten derzeit Hochkonjunktur. Zwar sind beide Notenbanken noch von ihrem Inflationszielwert von zwei Prozent entfernt und es gibt auch die Gefahr, dass die Teuerung, etwa aufgrund von steigenden Energiepreisen und Löhnen, wieder zunimmt. Doch die zunehmend trübere Konjunktursituation, in den USA weniger stark ausgeprägt als in Europa, könnte Zinssenkungen wahrscheinlicher werden lassen. Sowohl Fed-Chef Jerome Powell als auch EZB-Präsidentin Christine Lagarde werden unterdessen aber nicht müde, zu warnen, dass der Kampf gegen die Inflation noch nicht zu Ende sei.
„Frage einer Zinssenkung könnte sich im Jahr 2024 stellen“
Doch Fed-Direktor Christopher Waller hat erst unlängst wieder eine Debatte über eine mögliche US-Zinssenkung losgetreten. Er betonte, es gebe gute ökonomische Argumente für eine geldpolitische Lockerung, falls die Inflation noch weitere Monate zurückgehe. In der Euro-Zone sorgte zuletzt die regelmäßig durchgeführte Reuters-Umfrage unter Ökonominnen und Ökonomen für Aufsehen: Dabei gingen 57 Prozent der Befragten – 51 von 90 Teilnehmern – davon aus, dass die Europäische Zentralbank (EZB) mindestens einmal vor ihrer Zinssitzung im Juli die Schlüsselsätze nach unten setzen wird. Das wäre deutlich früher als die Ökonomen zuletzt prognostiziert hatten. Und auch EZB-Ratsmitglied Francois Villeroy de Galhau ließ erst in der Vorwoche mit einem Interview aufhorchen. Er attestierte, dass „die Disinflation schneller voranschreitet, als wir dachten“. Aus diesem Grund werde es, wenn es keine Schocks gebe, keine neue Zinserhöhung geben. Die Frage einer Zinssenkung könnte sich daher im Jahr 2024 stellen – „aber nicht jetzt“, ergänzte er in Hinblick auf die kommende Zinssitzung.
Die Ökonomen der Deutschen Bank rechnen laut einer jüngst publizierten Analyse für das kommende Jahr mit größeren EZB-Zinssenkungen. Sie erwarten nun, dass die Euro-Notenbank die Zinsen 2024 um insgesamt 1,5 Prozentpunkte senken wird – auf dann drei Prozent. Den ersten Schritt nach unten erwarten sie bereits im April. Aber auch eine Senkung bereits im März halten sie nicht ganz für ausgeschlossen.
Noch fallen derartige Einschätzung freilich in die Kategorie der Glaskugel-Prognosen. Doch die in dieser Woche anstehenden Zinssitzungen und die damit einhergehenden Wirtschaftsprognosen könnten zumindest wichtige Anhaltspunkte liefern.