Ende November, dieses Zeitlimit hat sich der Generalbevollmächtigte Arndt Geiwitz selbst gesetzt, um Stichhaltiges zu liefern: Wie viel Geld die extrem verschachtelte Signa-Gruppe des Tiroler Investors René Benko in den nächsten Wochen zum Überleben braucht. Als erste Voraussetzung, um später auf dieser Basis eine mehrere Milliarden schwere Restrukturierung überhaupt nur andenken zu können. Die Löcher könnten aber so groß sein, dass jetzt nichts mehr mit dem alten Modell Signa geht.

Profis aus der Immobilienindustrie äußerten sich im Laufe dieser Woche immer skeptischer, ob die Zeit für den ersten riesigen Rettungsschritt überhaupt reichen kann. Nächste Woche könnte es tatsächlich Schlag auf Schlag kommen. Für die Signa Holding und ihre wichtigsten Immobiliengesellschaften Signa Prime und Signa Development sollen Insolvenzanträge in Vorbereitung sein. Unterdessen wurde für die deutsche Tochter von Signa Prime laut „Spiegel“ bereits ein Insolvenzantrag gestellt.

Die Magazine „News“ und „Spiegel“ berichten darüber mit Verweis auf Insiderinformationen. Nähere Details, ob dazu auch Auffanggesellschaften geplant sind, die dann haftungsbefreit und komplett ohne René Benko weitermachen, gibt es derzeit nicht. Am Dienstag soll es laut „Standard“ eine Mitarbeiterversammlung in Wien geben, in der es um die Signa-Zukunft gehen wird.

Beide genannten Unternehmen bilden der Kern der Signa-Immobilienaktivitäten, die eine entwickelt Projekte, die andere bediente bisher mit extrem hohen Erträgen aus Spitzenimmobilien Benkos Geldgeberkreis von reichen Industriellen. Eine Pleite der Signa Prime und Signa Development könnte europaweite Folgen haben. Banken sind bei Immobilien zwar in der Regel sehr gut im Grundbuch abgesichert. Bei offenen Baustellen wird es aber kompliziert und teuer. Da drohen dann trotzdem massive Abschreibungen.

Mammutaufgabe und ein Wettlauf gegen die Zeit

Geiwitz drehte in den vergangenen Wochen mit einer rund 30-köpfigen Mannschaft sozusagen jeden Stein um in der Signa-Gruppe – ein auf Steueroptimierung getrimmtes Imperium, in dem um Jahre verspätete Bilanzierung gebräuchlich war. Eine Sorge schwang bei Signa immer mit: Wie viel Bluff in den Zahlen stecken könnte. Für Sanierer ist das Entflechten wenig durchsichtiger Finanzgebarung bei Hunderten einzelner Unternehmen eine Mammutaufgabe und ein Wettlauf gegen die Zeit: Wenn klar wird, dass weiter unkontrolliert Millionen den Bach heruntergehen, müssen solche Profis gesetzeskonform schnell Reißleinen ziehen. Denn eine Insolvenz verschleppt zu haben – überhaupt in einem prominenten Fall wie Signa, der schwerlich unter guten Vorzeichen steht –, das kann sich eine seriöse Sanierer-Kanzlei nicht nur nicht leisten, das ist auch strafbar.

Insidern zufolge sollen sich allein in den vergangenen Wochen Zahlungsrückstände von mindestens 500 Millionen Euro aufgetürmt haben, weitere 200 Millionen müssten zusätzlich für eine in gut einer Woche auslaufende Anleihe aufgestellt werden, schrieb die „Neue Zürcher Zeitung“ bereits vor wenigen Tagen. Allein diese Dimensionen lassen vermuten, wie die Signa durch den europaweiten und massenhaften Bau auf Pump und die nun explodierenden Zinsen zum Fass ohne Boden geworden sein dürfte.

Erst in diesem Sommer waren Angaben aus dem Signa-Umfeld zufolge 750 Millionen Euro zur Stabilisierung in den damals bereits wackelnden Koloss gepumpt worden – angeblich auf Drängen der Europäischen Zentralbank, was besonders pikant ist.

Alle Zahlen stehen freilich unter Vorbehalt. Denn in der Signa-Pressestelle betet man weiter nur schon Gesagtes herunter, bestätigt oder dementiert nichts. Derzeit heißt es nur, man verhandle weiter mit potenziellen Geldgebern. Mit den Banken und Investoren gibt es, wie üblich bei drohenden Pleiten, Stillhalteabkommen. Brechen solche Abkommen, löst das oft einen unkontrollierbaren Kollaps – sozusagen ein Multiorganversagen – aus.

„Die Krise in der Branche ist längst existenziell“

Als einer der potenziellen Geldgeber wurde regelmäßig der Bauindustrielle Hans Peter Haselsteiner gehandelt. Er ist mit dem privaten Vermögen seiner Familienstiftung als zweitgrößter Investor an der Signa beteiligt. Wenn einer der Benko-Partner so richtig weiß, wie viel Geld offene Baugruben oder halb fertige Bauwerke kosten können, dann er. Speziell in Zeiten wie diesen, in denen niemand einfach Großimmobilien kauft, weil er nicht weiß, wie viel des Wertes er demnächst abschreiben muss.

„Die Krise in der Branche ist längst existenziell“, so der Chef eines großen Immokonzerns, der nicht genannt werden will. Warum, wird schnell klar. Denn er sagt der Branche eine große Insolvenzwelle voraus – „mit einem Höhepunkt Mitte 2024“. Kommt die Signa-Pleite nächste Woche, wird dieses Szenario noch schneller brutale Realität.

Das Signa-Drama wirft zudem so viele Fragen nach mangelhafter Kontrolle auf, dass das zumindest indirekt auch das Milliarden-Lebenswerk Haselsteiners anpatzen könnte. Anfang 2024 wird Haselsteiner 80. Seit Ende der 1980er-Jahre baute er mit einem außergewöhnlichen unternehmerischen Weitblick den an der Börse notierten Baukonzern Strabag auf. Haselsteiner hatte immer das Kaliber, als Preis für seinen Mut Verluste einzustecken und die auszubügeln – aber zweimal den gleichen Fehler zu machen, dafür dürfte der Bauindustrielle nicht zu haben sein.

Hochgradige Liquiditätsprobleme

Haselsteiner soll Benko schon länger nicht mehr mit Samthandschuhen angefasst haben, ihn oft gedrängt haben, dem Milliardengrab der Handelsaktivitäten den Rücken zu kehren – nach dem Motto „Schuster, bleib bei deinen Leisten“. Nicht nur er, auch andere Beiratsmitglieder sollen von Benko regelmäßig klare Aufstellungen gefordert haben, welche Immobilien in welcher Dimension finanziell unter Wasser geraten. Der als Befreiungsschlag gedachte Kika/Leiner-Verkauf geriet zur sinnbildlichen und echten Pleite inklusive 50 Millionen Euro Schaden für Österreichs Steuerzahler.

Die zuletzt nach außen sichtbaren Signa-Schritte bedeuteten nichts Gutes, weisen auf hochgradige Liquiditätsprobleme hin. Baustopps waren die Folge. Das prominenteste Beispiel dafür ist der Elbtower in Hamburg, Mitte der Woche zeigten Bilder die stillgelegte Signa-Baustelle mitten in der Münchner Fußgängerzone, wo sich die Stadt in Zukunft eigentlich einen blühenden Einkaufstempel erhofft.

Wer konnte, kappte schon in den vergangenen Wochen finanzielle Verflechtungen mit Signa. Bei der britischen Luxus-Kaufhausgruppe Selfridges übernahm der thailändische Co-Besitzer Central Group das Kommando.

Laut „Spiegel“ und „News“ stellt René Benko gerade sogar Kunstwerke von Pablo Picasso und Jean-Michel Basquiat zum Verkauf, die Millionenerlöse versprechen. Er soll kurbeln, wo es geht, aber genau das könnte noch ein gewichtiger Teil des Problems sein. Denn sollte es Pläne für eine „Signa neu“ geben, die wahrscheinlich nicht mehr Signa heißen wird, müssen die von der Historie des undurchsichtigen Kartenhauses befreit sein.