Von Dieter Hubmann und Gerhard Nöhrer
Ein großer und wichtiger Kunde der Grazer war Europas größter Hersteller schon immer. Und nicht bloß nur als Komponentenlieferant. Bereits vor 30 Jahren ließ Volkswagen bei Steyr-Puch den VW Golf Country entwickeln und in kleiner Stückzahl kurz auch bauen. Später entwickelten die Spezialisten von Magna-Steyr den Audi TT zur Serienreife.
Jetzt bedient sich der Auto-Riese aus Wolfsburg erneut der Ingenieurskunst und dem Know-how der Steirer und vergab den größten Entwicklungsauftrag, der je bei Magna-Steyr abgewickelt wurde.
Dabei handelt es sich um zwei Modelle von Volkswagens neuer amerikanischen Elektromarke Scout, die Anfang 2027 ihr Marktdebüt in den USA feiern wird. Die Entwicklungsarbeiten bei Magna in Graz und den USA laufen bereits auf Hochtouren, bis Ende 2026 sollen die beiden Fahrzeuge nach aufwendigen Prototypenerprobungen serienreif sein.
450 Millionen Euro werden überwiesen
Dafür überweist der Volkswagen-Konzern 450 Millionen Euro an Magna-Steyr. Ursprünglich hätte Magna auch die Montage in den USA übernehmen sollen.
Daraus wurde nichts. Nun wird Volkswagen den Scout – zu Deutsch: Kundschafter – selbst bauen und zieht in den nächsten zwei Jahren für zwei Milliarden Dollar eine neue Fertigung in Columbia/South Carolina hoch. Im ersten vollen Produktionsjahr 2027 sollen dort schon 150.000 Scout vom Band laufen. Der neu erschaffene Firmensitz von Scout Motors befindet sich in Tysons/Virginia.
Bei den ersten beiden E-Modellen handelt es sich um einen üppig dimensionierten SUV und einen Fullsize Pick-up. Die Reichweite der beiden Fünfmeter-Elektriker soll jeweils bis zu 400 Meilen (etwa 650 Kilometer) betragen. Mit der neuen Marke möchte der Volkswagen-Konzern endlich auch in den USA groß durchstarten. So soll der Marktanteil von derzeit fünf Prozent mittelfristig verdoppelt werden. Und man will der Konkurrenz näher kommen: Der Ford F150 ist und bleibt der meistverkaufte Full-Size-Pick-up der USA. Tesla und Ford bringen genauso elektrische Pick-ups.
Auch Audi könnte an Bord gehen
Die Rechte an Scout hatte Volkswagen übrigens 2020 mit dem Kauf des Nutzfahrzeugherstellers Navistar erworben. Der Scout war ein legendärer rustikaler Crossover des verblichenen Herstellers International Harvester, wurde zwischen 1961 und 1980 gebaut und erlangte in den USA Kultstatus. Scout gilt als Vorreiter der SUV-Bewegung, die heute die zentralen Märkte in Europa und im Rest der Welt beherrscht. V8-Motoren mit bis zu fünf Litern Hubraum waren ihr Markenzeichen – diese Zeiten sind freilich vorbei. Jetzt beginnt das elektrische Zeitalter.
Kein Geheimnis mehr ist auch, dass die Volkswagen-Tochter Audi den Spuren des Scout folgen könnte und mit einem Luxus-Offroader ähnlich erfolgreich sein will wie Mercedes mit dem G. Audi wird als Technologielieferant des Projekts freilich die Plattform des Scout nutzen und ein halbes Jahr später starten. Im Gegensatz zu Volkswagen, die den Scout ausschließlich in den USA anbieten wollen, dürften die Ingolstädter auch Europa im Visier haben.
Für Magna ist das Projekt ein wichtiger Baustein in der Zukunftsstrategie. Jetzt geht es darum, das Grazer Werk auszulasten, die Fertigung in Graz benötigt weitere Aufträge, weil die Produktionen von BMW, Toyota und Jaguar auslaufen.
Immerhin gibt es ein paar Hoffnungsschimmer: Die neue elektrische Mercedes-Benz-G-Klasse wird ab 2024 in Graz gebaut, die Stückzahlen sollen sich insgesamt (inklusive Verbrenner) im kommenden Jahr der 50.000-Marke annähern. Der Elektroauto-Hersteller Fisker, der in Graz produzieren lässt, hatte Anlaufschwierigkeiten. Fraglich, ob die hochgesteckten Stückzahlen, die man prognostiziert hatte, heuer schon erreicht werden können.