Das Büro des früheren „illycaffè“-Vordenkers, Bürgermeisters von Triest und Präsidenten der Region Friaul-Julisch Venetien unweit des bekannten „Eataly“-Geschäftes am Meer ist überraschend klein und nüchtern. Riccardo Illy legt augenscheinlich begrenzten Wert auf Allüren wie Attitüden. Dafür wohl umso mehr auf exzellente Köstlichkeiten und hohe Qualität.
Erst vor vier Jahren gründete er seine Holding mit dem Ziel, exklusive Marken aus der Welt der Köstlichkeiten unter einem – seinem – Dach zu vereinen. „Polo del Gusto“ heißt dieser Teil der Illy-Gruppe für alle Nicht-Kaffeemarken. Dazu zählen etwa edle Teesorten von Dammann Frères, Domori-Schokolade (mit Hauptsitz nahe Turin), der Marmeladen-Anbieter Agrimontana, der Schokoladenhersteller Prestat und – als Huldigung ans heimische Triest – Pintaudi, ein vor rund 20 Jahren gegründeter Hersteller edlen Gebäcks. Außerdem im neuen Illy-Universum beheimatet: Fruchtsäfte von Achillea, eine piemontesische Spezialität, und mit Rococo Chocolates ein weiterer Schokoladenspezialist mit Nobelshops in London.
„Jedes Produkt hat seine eigene, spezielle Geschichte“
Das junge Köstlichkeiten-Imperium floriert offenbar: 2022 erzielte Polo del Gusto einen Umsatz von 110 Millionen Euro, ein Plus von acht Prozent gegenüber 2022, frohlockt man bei Polo del Gusto. Jedes der „Konzern-Häppchen“ hat auch eigene Vertriebswege, manche mit Geschäften an Nobeladressen in Metropolen. Was bisher fehlte, ist ein einheitlicher Auftritt, eine Art „Eataly“ für Leckerbissen aus dem Hause Illy.
Im September eröffnete daher Illy in Triests Via Einaudi, unweit der zentralen Piazza Unità d‘Italia, ein Pilot-Geschäft für die Verwirklichung dieses Plans: Incantalia heißt – für hiesige Ohren etwas sperrig – dieser „magische“ Laden; eine Wortschöpfung aus dem Begriff „incantare“, zu Deutsch „verzaubern“, und Italia. Und jedes Produkt habe seine eigene, spezielle Geschichte, erzählt Illy.
Der Rahmen, den er dafür wählte, ist ein ebenso modern wie auffällig gestalteter Verkaufsraum. Die Farbe, die hier dominiert, nennt sich Papaya, Ecken sucht man vergeblich, was der Patron so erklärt: Weil Erzeugnisse und Konzept eine „runde Sache“ seien, müsse sich das im Shopdesign niederschlagen.
Expansion in Italien – und darüber hinaus
Neben Erzeugnissen aus dem neuen kaffeelosen Illy-Imperium finden sich – naturgemäß – auch Produkte aus dem berühmten Kaffee-Zweig der Familie, diese sind aber nicht im Fokus, sondern bilden nur die Kulisse. Durchaus mit Absicht: Der frühere Vorsitzende der „illycaffè S.p.A.“ scheidet mit Ende des Jahres aus der Kaffee-Dynastie aus und gibt seine Anteile am Unternehmen ab. Er wolle sich ganz auf Polo del Gusto und dessen Expansion in Italien und darüber hinaus konzentrieren. Ein Weg, der Illy auch nach Österreich führen wird, wie er verspricht – das Große Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik schmückt ihn ja bereits.
Manchen ist Illy, der in den neunziger Jahren zwei Perioden lang Triest regierte und 2008 nach nur einer Periode als Ministerpräsident der Mitte-Links-Koalition als Präsident der Region abgewählt wurde, noch als Politiker in Erinnerung. Auch die Episode im italienischen Parlament in Rom endete früh. Nun will Illy mit Polo del Gusto und Incantalias Netzwerk an Geschäften Italien „erobern“. Es sind nicht die ganz großen Städte, die er zuerst ansteuert, sondern die mittelgroßen – Padua etwa, oder Venedig. Rund 100 Shops sollten es allein hier werden. Schon im Dezember startet ein Online-Shop, zudem soll Incantalia in Kaufhäusern seine Versuchungen verbreiten.
„Aufgeschlossener für Abenteuer“
Dabei geht es Illy um mehr als bloß Business, sondern um eine Mission: Esskultur, Kulinarik und Verbreitung höchster Qualität stehen ganz oben. Wie könnte dieser Feldzug besser gelingen als durch die Akquise außergewöhnlicher Marken? Dem Projekt voran ging die intensive Beschäftigung Illys mit „der Kunst exzellenter Produkte“. In einem gleichnamigen Buch, erschienen auf Englisch und Italienisch, schrieb er seine Erfolgsprinzipien ausführlich nieder. Nicht nur seine ökonomischen Höhenflüge gelten dabei als Ausweis, auch wissenschaftlich betätigt sich Illy als Universitätslehrer, etwa in Stanford oder an der HEC in Paris.
Auf den ersten Blick mag es als Nachteil wirken, vom nordöstlichsten Eck Italiens aus den italienischen Markt aufrollen zu wollen. Gewiss, mit illycaffè ist es gelungen, aber kann der Erfolg, der auf den Künsten von Riccardo Illys Großvater basierte, wiederholt werden? Illy sieht in der vermeintlichen Schwäche Triests seinen größten Vorteil: Die wechselvolle Geschichte Triests verankerte sich im kollektiven Gewissen, man sei auch nicht so tief in Italien verwurzelt wie andere. Das mache die Triestiner „aufgeschlossener für Abenteuer und auch stärker“, erklärt Illy.
Der kulinarische Ausflug zu Riccardo Illy endet nicht im kleinen Büro, sondern in der Trattoria Nero di Seppia. Wer Völlerei vermutet, liegt falsch. Der drahtige 68-Jährige gönnt sich zu Mittag nur Mineralwasser, Obst und etwas Fisch mit Brokkoli. Seinen süßen Versuchungen, denen er stets selbst seinen Sanctus erteilt, erliegt der Herr der Köstlichkeiten diesmal nicht.