Bloßfüßig und mit verbundenen Augen an einem Seil entlang durch den Wald tapsen. Sich an einen Baum lehnen und durchatmen. Fühlen, sehen, hören. Es ist ein Erlebnis der ganz besonderen Art, das Bernhard "Berni" Rössl, Kirchenwirt von Stallhofen, anbietet. Es wird "Waldbaden" genannt, hat mit Badehosen wenig zu tun, dafür mehr mit Wanderstöcken. Kurzum: Seelenschwimmen. Kommen Sie mit!
Ausgerüstet mit Haselnussstöcken, einem praktischen Tuch und drei Stunden Zeit betreten wir beim Freizeitzentrum Stallhofen den Wald. Nach einer kurzen Einstimmung mit Klatschen ("Der Wald beginnt am Waldrand") ist Rössl in seinem Element und erzählt, wie es dazu kam, dass ihn die Waldkraft so sehr beeinflusste.
"Ich hab vor einiger Zeit gemerkt, dass es mir nicht gut geht. Meiner Tochter Sabine auch nicht. Der Stress war enorm. Der Stress ist bei vielen zu groß. Da bin ich irgendwann auf das Thema Waldbaden gekommen, eine Form der Entspannung, die uns zurückführt zu unserem Ursprung", beschreibt Rössl. Er machte den Kurs zum Waldbaden-Trainer in Graz, bat einige Waldbesitzer in der Umgebung um Erlaubnis und formte um sein eigenes Waldstück herum eine Art Parkour. Auf diesem Pfad schreitet er nun voran.
Ulli Felber, seine Trainerin aus Graz, ist auch dabei und er ist nervös. "Dazu besteht aber kein Grund", sagt sie. "Jeder macht das Waldbaden auf seine Art, jeder erlebt den Wald anders. Wichtig ist lediglich, dass man sich darauf einlässt und die Umgebung auf sich wirken lässt". Daran sei nichts esoterisch, "wir bewegen uns eigentlich nur dort, wo der Mensch zu 99,9 Prozent der Menschheitsgeschichte gelebt hat – in der Natur".
Erinnerung an früher
Wir ziehen die Schuhe aus, verbinden uns die Augen und tasten uns eine Schnur entlang. "Keine Angst", ruft Rössl. "Ich habe den Weg gesäubert, keine Dornen, keine Fallen". Unter den Füßen spüren wir das feuchte Moos, sanfte Wurzeln, kühlen Waldboden. Eine uralte Erinnerung stellt sich ein. Jene an die Kindheit, als wir bloßfüßig in Bächen Dämme gebaut und im Wald gespielt haben.
Manche mögen diese Erfahrung aber nicht. Sich ohne Schuhe zu bewegen, ist für sie beklemmend und nicht befreiend. "Aber das macht nichts, denn beim Waldbaden ist alles freiwillig", betont er, "das ist ganz wichtig. Niemand muss irgendetwas."
Waldbaden komme von den Japanern, erzählt Rössl. Dort sei das seit den 80er-Jahren populär. "Auch bei uns wird es immer beliebter", bestätigt Felber. In der Weststeiermark sei Rössl aber der Erste, der das Waldbaden postuliert.
Der Grund für den Entspannungseffekt, den ein Aufenthalt im Wald automatisch mit sich bringt, liegt im Phänomen der Terpene bzw. Phytonzide. Diese Botenstoffe werden von den Bäumen abgegeben. "Sie sind der Grund, warum sich das Immunsystem des Menschen nach zwei bis drei Stunden im Wald – vor allem in den Morgenstunden – nachweislich stärkt. Außerdem kommuniziert der Wald auf diese Weise, denn bislang wurden rund 2000 verschiedene Terpene entschlüsselt, Bäume können auf diese Weise sogar weitergeben, welcher Schädling naht."
Waldlehrpfad & Rehbetten
Auf unserer Wanderung, die auch den Bösensteig, den ehemaligen Schulweg über den Muggauberg, kreuzt, begegnen wir Fichtenkindergärten und den Bettstellen der Rehe. Im 2017 eigens angelegten Waldlehrpfad zeigt Rössl, welche der 30 gesetzten Bäume schneller wachsen als andere. Und langsam, ganz langsam, stellt sich eine Ahnung ein von dem ein, was er meint, wenn er von Atmosphäre spricht, vom Fühlen und vom Schauen mit allen Sinnen. Spätestens dann, als wir wieder den Waldrand erreichen und sich Wehmut einstellt, wie nach einer Urlaubsreise. Du willst nicht zurück. Das ist Waldbaden. Wenn man bleiben will. Tief im Schlummern der Wälder.
Waldbaden bietet Bernhard Rössl ab sofort jeden Dienstag an. Um 39 Euro bekommt man eine Wanderung von rund drei Stunden, ein praktisches Tuch und eine kleine Stärkung durch Natursnacks geboten.