Was Verlust bedeutet, musste Martin Scheid (73) heuer erfahren: Mit nur 46 Jahren erlag seine Tochter einem Krebsleiden. „Lisa war mental sehr stark, wir haben alles versucht, Chemotherapie, Operation, Behandlungen in Deutschland und Amerika, auch alternativ. Leider hat nichts geholfen“, erzählt der Weststeirer mit gesenkter Stimme. Erst vor zwei Jahren war Lisas Mutter ebenfalls an Gebärmutterhalskrebs gestorben, kurz darauf die erschütternde Diagnose für die Tochter. „Das habe ich so noch nie erlebt. Obwohl ich das Ende absehen konnte, hat mich der Verlust tief erschüttert“, erzählt der Vater von drei weiteren Töchtern und einem Sohn aus zwei Beziehungen.
Zeit zum Nachdenken und Abstand gewinnen
Doch wie verarbeitet man so einen unglaublichen Verlust? „Ich hatte das Gefühl, damit muss ich alleine zurande kommen. Mein Gedanke war: Am Rad, da habe ich Zeit zum Nachdenken und kann Abstand gewinnen.“ Von seiner Frau wurde er bestärkt. „Dafür bin ich ihr so dankbar!“
3800 Kilometer betrug die Route, 2000 davon legte Scheid per Rad zurück, 1300 Kilometer am Schiff und je 300 Kilometer per Zug und über steile Pässe im Auto. Von Österreich ging es über Slowenien, Serbien, Rumänien und Bulgarien via Schwarzem Meer nach Georgien und Armenien. 70 Kilometer trat der Weststeirer im Durchschnitt pro Tag in die Pedale. Sechs Wochen dauerte die Reise am 30 Jahre alten Drahtesel. Ein Bild der verstorbenen Tochter war stets dabei: „Ich habe mich auf der gesamten Reise nie einsam gefühlt. Ich habe zu meiner Tochter eine sehr gute Beziehung aufbauen können, nur eben auf einer neuen Ebene“, schildert der Weststeirer, der hinzufügt: „Frohsinn und Optimismus sind zurückgekehrt, ich habe auf der Reise viel gelacht. Und Dankbarkeit dafür empfunden, dass ich Lisa in meinem Leben gehabt habe.“
Von der Reise hat der Weststeirer viele spannende Geschichten mitgebracht. „Überwältigend war die Gastfreundschaft. Unfreundlich bin ich nur in einem Land behandelt worden: in Österreich“, muss Scheid schmunzeln. „Ich hatte Erinnerungskarten mit einem Foto von mir und Danke in den Sprachen jener Länder, die ich durchreiste, zum Austeilen mit. Das und die österreichische Fahne am Rad waren sehr hilfreich, um mit den Menschen in Kontakt zu kommen.“
Viele Erlebnisse als „Geschenke“
Besonders beeindruckt hat Scheid das Mahnmal zum Armenischen Genozid in Jerewan. „Ich habe mir gleich ,Die vierzig Tage des Musa Dagh‘ von Franz Werfel als Hörbuch heruntergeladen und während der Fahrt angehört.“ In Erinnerung bleiben auch die bulgarische Touristenstadt Burgas oder die „gigantomanische“ Hafenstadt Batumi, mit 156.000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt Georgiens. Auch die Donauenge am Eisernen Tor an der Grenze zwischen Serbien und Rumänien hat Scheid in Staunen versetzt.
Gezweifelt habe er an seinen Plänen nie. „Nur meine Frau hat sich Sorgen gemacht, und ich mir ehrlich gesagt auch“, gibt der Weststeirer zu. Einige gefährliche Situationen habe es gegeben, zweimal landete er bei Ausweichmanövern vor entgegenkommenden Autos im Straßengraben. „Radwege wie bei uns gibt es dort nicht. In Georgien habe ich zudem eine schwere Darminfektion mit hohem Fieber und Schüttelfrost bekommen. Die Gastfamilie hat sich unglaublich um mich gekümmert, mir einen Arzt besorgt, was dort nicht so einfach ist.“
„So eine Reise würde vielen Menschen guttun“
Und wie lautet das Resümee der sehr persönlichen Reise? „Am Ende kann ich sagen, meine Tochter lebt weiter, und zwar in mir.“ Scheid, der Botschafter für „Altern mit Zukunft“ ist, will auch andere ermutigen. „Ich glaube, so eine Reise würde vielen Menschen guttun. Auch körperlich, die Bewegung hat die Schmerzen von meinem Gleitwirbel beseitigt.“