Seit ihrer Geburt lebt Nicole mit einer geistigen Beeinträchtigung, vor 41 Jahren wickelte sich die Nabelschnur um den Hals der heute erwachsenen Frau, was bei ihrer Geburt zu Sauerstoffmangel führte. Sie wohnt mit ihrer alleinerziehenden Mutter Gabriele van Führen in Voitsberg, für die ihre Tochter ihr Ein und Alles ist. Van Führen ist eine von mehr als 800.000 Angehörigen in Österreich, die ein Familienmitglied zu Hause pflegen. Viel zu oft wird die Betreuung als Selbstverständlichkeit angesehen, dabei ist die Betreuung eines Angehörigen oft körperlich, emotional und psychisch belastend.
Van Führen kann ein Lied davon singen. Ihre Tochter benötigt Hilfe beim Waschen oder beim Gang auf die Toilette, dafür mehrmals in der Nacht aufzustehen, ist für sie zur Routine geworden. Vor ihrer Pensionierung arbeitete die 65-Jährige in der Pflege, machte eine Ausbildung im Bereich Allgemeinmedizin und Geburtenhilfe und arbeitete in der Diakonie ‒ Nachtdienst, tagsüber begleitete sie ihre Tochter zur Therapie. Heute bezieht sie eine Pension von 1556 Euro, ein Teil kommt aus Deutschland, wo sie bis zu ihrem Umzug nach Voitsberg vor 33 Jahren gearbeitet hat.
Kein Angehörigenbonus
Den Bonus für pflegende Angehörige, der seit Dezember ausbezahlt wird, bekommt sie nicht. Voraussetzung für den Erhalt des Bonus ist, dass das eigene monatliche Durchschnittseinkommen 1500 Euro netto nicht übersteigt und die zu pflegende Angehörige Anspruch auf Pflegegeld zumindest der Stufe 4 hat. „Die 65 zusätzlichen Euro brechen mir jetzt das Genick. Gerade wenn man alleinerziehend ist, wären 125 Euro Bonus im Monat eine große Hilfe“, sagt van Führen.
Laut der Mutter könne die Politik nicht begründen, warum die Einkommensgrenze ausgerechnet bei 1500 Euro liege. „Es gibt viele pflegende Angehörige und die jeweilige Lebenssituation ist immer anders. Eigentlich müsste man jeden Pflegefall individuell beleuchten“, fühlt sich van Führen benachteiligt. Weil ihre Tochter die Pflegestufe 5 hat, bekommt sie zwar Pflegegeld, aber davon bleibe nicht viel übrig. „Nicole bekommt bei ihrer Arbeit in der Tageswerkstätte von LebensGroß ein Taschengeld, für den Großteil komme aber ich auf. Wenn ich Hilfe brauchte, nehme ich den Familienentlastungsdienst in Anspruch“, so van Führen. Dafür fallen Kosten an, dazu kommen 600 Euro Kaltmiete, Strom- und Heizkosten. „Lebensmittel sind enorm teuer, wir wollen uns aber gesund ernähren und gönnen uns sonst nichts.“
Mutter beschreitet den Rechtsweg
Die Hoffnung auf den Pflegebonus will van Führen nicht aufgeben. „Innerhalb von 14 Tagen ist es möglich, Einspruch zu erheben. Sobald ich den negativen Bescheid schriftlich bekommen habe, werde ich mit meinem Anwalt dagegen vorgehen“, will van Führen um den Bonus kämpfen. Vom Dank der Politik an diejenigen, die ihre Angehörigen zu Hause pflegen, könne man nicht leben.
Plätze in Pflegeeinrichtungen sind bekanntlich begrenzt. Die Pflege abzugeben, kommt für van Führen aber ohnehin nicht infrage. „Meine Tochter will nirgends hin und ich will noch viele Jahre bei Nicole bleiben, meine Tochter hält mich jung.“ Sie wünscht sich, dass ihre Tochter alles erleben und machen kann, was gesunde Menschen auch tun. „Sie geht gerne in die Therme und ins Kaffeehaus oder verbringt Zeit mit ihrem Hund Rudi.“