Shampoo ausspülen, bürsten, föhnen. Wenn Eltern ihren Kindern die Haare waschen, herrscht oft Ausnahmezustand im Badezimmer. Auch bei Lisa Maria Masser war das so. Bis zu ihrem sechsten Lebensjahr. "Es kam mir seltsam vor, als eines Tages beim Haarewaschen das Gezanke ausblieb. Stattdessen entdeckte meine Mutter eine kreisrunde, kahle Stelle auf meinem Kopf", schildert die 26-Jährige.
Ihre Eltern und viele Ärzte waren zunächst ratlos. "Es hieß, meine Haare seien zu lang und schwer. Daher schnitten sie mir einen Bob, den habe ich gehasst", erzählt sie. Damit waren die hüftlangen, rabenschwarzen Haare Geschichte. Bald darauf hatte sie eine Diagnose: Alopezie, krankhafter Haarausfall.
Hoffen
Mit Tinkturen und Massagen kämpfte die Familie dagegen an. "Es war anstrengend, die Behandlungen waren wie ein Fingerzeig auf meinen Kopf", erinnert sich die Winzerin. Und die Prozeduren waren von wenig Erfolg gekrönt.
"Manchmal sind Haare nachgewachsen, dann wieder großflächig ausgefallen", erzählt Masser. Sie machte sich jedes Mal aufs Neue Hoffnungen, wurde oft enttäuscht. Ihre Mitschüler mobbten sie, Schimpfwörter wie "Monster" standen an der Tagesordnung.
Leiden
"Das Dressurreiten hat mir geholfen. Tiere nehmen dich an, wie du bist", sagt die Südsteirerin. Im Alter von zehn bis 17 Jahren nahm sie an internationalen Turnieren teil, brachte Siege bei Landes- und Europameisterschaften nach Hause.
Doch es kam schlimmer: Mit zwölf Jahren setzte bei ihr universeller Haarausfall ein – ihr fielen am ganzen Körper die Haare aus. Auch Augenbrauen und Wimpern waren weg. "Mit Perücken wollte ich so sein wie die anderen", sagt sie. Depressionen und Angstzustände plagten sie. Und das Gefühl, nicht dazuzugehören.
Aufblühen
Das änderte sich, als Masser in Graz die Matura machte. Damals feierten sie ihre Freunde für ihre Perücken: Sie konnte heute blond sein und morgen brünett. Sie begann immer öfter, gängige Schönheitsideale – auch in sozialen Medien – zu hinterfragen. Eine Psychotherapie half ihr, sich selbst akzeptieren zu lernen.
Auch die Beziehung zu ihrem damaligen Freund und heutigen Mann bestärkte sie. "Er nahm mich von Anfang an so, wie ich bin", sagt Masser. Die beiden kamen 2019 zusammen, von da an ging es Schlag auf Schlag: 2020 folgte der Antrag, 2021 die Hochzeit in Kroatien, 2022 die große Feier zu Hause.
Mutig sein
Aber: "Es wurde anstrengend, die Löcher zu verdecken", so die 26-Jährige. Bei ihrer Hochzeit in Kroatien hatte sie wieder mehr Haare, konnte sie mithilfe von Ansatzspray und Haarteilen sogar hochstecken lassen. "Beim Bauernbundball hatte ich dann mehr Farbe als Haare auf dem Kopf", schildert die Winzerin. So nahm sie all ihren Mut zusammen und rasierte sich im März 2023 die Haare ab.
Ein kräftezehrender Akt, sagt sie selbst: "Es war eine Achterbahnfahrt, danach bin ich schlafen gegangen, so erschöpft war ich." Sie habe sich sofort viel wohler in ihrer Haut gefühlt. Als Teenager konnte sie sich oft nicht im Spiegel anschauen. "Heute bin ich stolz darauf, anders zu sein", sagt die 26-Jährige strahlend.
Mut machen
Seitdem hat die Leutschacherin immer ein Tuch dabei, meist um den Riemen ihrer Handtasche geknotet. Falls es abends draußen kühler ist. Ihr neues Markenzeichen, die Glatze, trage sie mit Stolz. "Es ist nicht wichtig, was man am Kopf hat, sondern was drin ist", ist Masser überzeugt.
Mit ihrer Geschichte will sie betroffenen Eltern und Kindern Mut machen. "Keine Familie ist perfekt, daher sollte man offen darüber reden und Hilfe annehmen", sagt die Südsteirerin. Deshalb möchte sie eine Alopezie-Anlaufstelle in der Steiermark ins Leben rufen. "Man muss sich in dem Prozess selbst viel Raum geben. Aber man ist nie allein", betont sie.