Mit den Fingernägeln habe er verzweifelt den gelben Zettel mit der Zahlungsaufforderung vom Grabstein seines verstorbenen Babys und dessen Großeltern abgekletzelt. Die Not ist groß. Die Scham noch größer.
Max Müller, Name von der Redaktion geändert, lebt mit seiner Frau und seinen zwei kleinen Kindern in der Südsteiermark. Anfang 2020 nahm die Familie einen Kredit mit variablem Zinssatz auf, um sich den Traum vom Haus erfüllen zu können.
Sie kamen über die Runden
"Es war alles knapp bemessen, aber es ging sich aus. Damals dachten wir, was soll groß passieren? Wir haben beide einen Job", erzählt Martina Müller, Name von der Redaktion geändert. Ihr Blick ist gesenkt. Beide hatten zu dem Zeitpunkt Arbeit, er im Baugewerbe und sie in der Kinderbetreuung. Alles schien perfekt.
"Wir sind nicht faul, wir haben immer gearbeitet"
Dann kam Corona, gefolgt von Krisen und Inflation. Die Kreditzinsen stiegen, ebenso wie etwa der Preis für Öl, Treibstoff, Grundnahrungsmittel. "Es fing klein an. Da fehlte mal ein 50er, dort ein 100er. Wir sind nicht faul, wir haben immer gearbeitet. Es wurde einfach immer weniger", schildert Müller. Offene Rechnungen wurden mehr, im Kühlschrank wurde es weniger.
Vor zwei Monaten dann die bittere Erkenntnis: Das Haus muss verkauft werden. Zuerst versuchte man es auf eigene Faust auf der Internetplattform willhaben. Ohne Erfolg. Nun kümmert sich eine befreundete Marklerin darum. "Jeder Tag, der vergeht, ohne dass das Haus verkauft ist, ist eine Qual. Der Traum von den eigenen vier Wänden fühlt sich jetzt an wie ein Gefängnis", sagt die Südsteirerin.
Auf willhaben verkauft die Familie nach und nach alles, was möglich ist. Das zweite Auto wechselte bereits vor Längerem den Besitzer. Die Oma von Müller schenkte ihrer Enkelin ihren goldenen Ehering, um Geld für Essen und ein Weihnachtsgeschenk für die Kinder zu kaufen.
Erschwerend hinzu kam, dass sich der Familienvater am Bau verletzte und nun mehrere Monate im Krankenstand ist. Er wurde laut eigenen Angaben von der Firma aufgrund des längeren Krankenstandes abgemeldet, mit der Zusicherung, ihn nach Genesung wieder aufzunehmen.
Große Scham
Als die Preise an den Zapfsäulen noch rapide nach oben kletterten, wurde auch die Fahrt zum Arbeitsplatz Martina Müllers in Graz-Umgebung zum Problem. "Ich hatte kein Geld mehr für den Tank. Krankheit wollte ich keine vortäuschen, mein Problem aber auch nicht öffentlich machen. Ich habe mich noch nie in meinem Leben so geschämt. Da habe ich gekündigt", gesteht die zweifache Mutter. Initiativbewerbungen für Jobs in der Umgebung habe sie anschließend sofort ausgeschickt.
Da kein Geld für einen ganzen Öltank da ist, holen sie mit einem Kanister das Öl von der Tankstelle, um warmes Wasser zu haben. Die Not mache erfinderisch. Geheizt wird im Ofen im Wohnbereich mit Holz. "Ein paar Bäume ragten in unseren Grund. Der Bauer hat vor Langem einmal gesagt, wenn sie mich stören, könnte ich sie umschneiden. Das habe ich gemacht und so können wir heizen", schildert Max Müller.
Raus aus den Schulden
Die Situation ist prekär, aber gemeinsam stehen sie das durch, sind sich beide einig. "Es bleibt uns nichts über, wir müssen da durch. Nur, wenn unser Familiengrab, dort wo meine Eltern und unser Baby liegt, aufgelöst wird, das schaffe ich einfach nicht", sagt Martina Müller mit leerem Blick und dunklen Ringen unter den Augen. Diese Sorge wurde ihnen jedoch abgenommen. Als der Pfarrer durch Caritas-Mitarbeiter Georg Aulinger von dem Fall hörte, wurden die offenen Kosten sofort getilgt. Aulinger begleitet die Familie zudem auf ihrem Weg. Das Ziel: Ein Leben ohne Schulden und Scham. Ein Neuanfang.