Walter Gluschitsch trägt eine dünne blaue Jacke, als er zum Eingang der Römerhöhle spaziert. Gelbe und orange Blätter rascheln unter seinen Schritten. Man möchte kaum glauben, dass derselbe Weg vor rund 80 Jahren KZ-Häftlinge täglich in die Höhle des Grauens geführt hat.
Der 68-Jährige sperrt das Tor zur Höhle auf, vereinzelt fallen gelbe Blätter zu Boden. "1989 habe ich dem Klavierlehrer meiner Söhne dabei geholfen, einen Veranstaltungsort für ein Konzert zu finden. Dabei kam ich auf die Römerhöhle", sagt Gluschitsch. Seitdem ist der leidenschaftliche Segler mit dem Stollen und seiner Geschichte verbunden. "Die Römerhöhle ist meine zweite Heimat."
Aus diesem Grund hat er auch die Ausbildung zum Mauthausen-Guide absolviert. Diese Guides machen professionelle Begleitungen durch den Steinbruch in Aflenz – eines der vielen Nebenlager des KZ Mauthausen. Von 1943 bis 1945 mussten dort Hunderte Häftlinge Zwangsarbeit für die Rüstungsindustrie verrichten. Heute begleitet Gluschitsch Besucher auf Anfrage durch die Römerhöhle.
Im Licht der Taschenlampe
Gluschitsch betritt den kühlen Steinbruch und schaltet das Licht ein. Vereinzelte Leuchten an der Decke erwachen zum Leben. In den Wänden kommen große Spalten zum Vorschein. Sie sind beim Kalksteinabbau zur Zeit der Römer entstanden. Davon leitet sich auch der Name Römerhöhle ab.
Der Pensionist kramt eine kleine Taschenlampe aus seiner Jackentasche und leuchtet in ein riesiges Loch in der Wand. Ein zwölf Meter hoher Tropfstein ist zu sehen. Tiefer im Stollen wird er noch eine zweite Taschenlampe brauchen, aber dazu später mehr.
Ein paar Schritte weiter wird die Decke immer niedriger. Gluschitsch zieht den Reißverschluss seiner blauen Jacke weiter zu. Im Stollen hat es konstant acht Grad. Er deutet auf einen rostigen Karren aus Metall. Mit dem Karren transportierte man tagsüber Steine und Werkzeuge, abends karrte man die erschossenen und erschlagenen Häftlinge aus dem Stollen. Ein Totenkarren also.
Von Grollen und Glasspionen
Plötzlich hört man ein dumpfes Grollen. Der Stollenboden erzittert fast unmerklich. Nach zwei, drei Sekunden ist es vorbei. Gluschitsch schmunzelt. "Im Lafarge-Werk in Retznei haben sie gerade gesprengt. Gleich kommen wir zu der Stelle, an der ich immer überprüfe, ob sich auch der Steinbruch bewegt hat."
Gesagt, getan. Wenige Meter später kommt Gluschitsch wieder zum Stehen und leuchtet an die Decke. Dort sieht man Glasstreifen, die zwischen Spalten im Stein angebracht sind: Glasspione. "Ist das Glas zerbrochen, hat sich der Stollen bewegt. Dann muss ich die Bergbehörde informieren", sagt er. Die Glasstreifen sind ganz.
Daraufhin biegt Gluschitsch rechts in einen schmalen Gang ab. Hier gibt es kein Licht von der Decke. Keinen Widerhall seiner Stimme. Gluschitsch kramt eine zweite Taschenlampe aus seiner Jacke. Mit der einen leuchtet er in den Gang vor sich, mit der anderen hinter sich auf den Boden. Die Dunkelheit rundherum scheint dichter, fast greifbar. Von der Decke hängt eine Fledermaus – eine kleine Hufeisennase.
Wie die eigene Westentasche
Beim Rückweg aus dem Stollen weiß der 68-Jährige genau, wohin er tritt. Keine Kante, keine Stufe, kein Loch im Boden übersieht er, während er von Konzerten und Theateraufführungen erzählt, die in der Römerhöhle stattgefunden haben. Je näher er dem Ausgang kommt, desto stärker hallt seine Stimme durch den Stollen, desto wärmer wird es.
Draußen angekommen, sperrt Gluschitsch das Tor zum Steinbruch zu. Die Blätter rascheln unter seinen Schritten, als er zurück zum Schotterparkplatz spaziert. Er sperrt sein Auto auf und wirft die dünne blaue Jacke auf den Rücksitz. Die Kälte im Stollen ist er so gewohnt, dass er nichts Wärmeres mehr braucht.