Am 15. Juni 2015 zogen die ersten 65 Asylwerber in den Tafelspitz in Feldbach. Es hat sich damals in kürzester Zeit eine Helferplattform um Andrea Descovich formiert, die 120 Mitglieder zählt. Was waren Ihre Beweggründe zu helfen?
BETTINA KUPLEN: Da muss ich Nelson Mandela zitieren, der einst sagte: Ich wollte kein Zuschauer mehr sein. Man hat die Fluchtbewegung ja schon länger mitbekommen.
Wo lagen zu Beginn die großen Herausforderungen?
WALTRAUD GSÖLS: Problem war, dass die Asylwerber in der ersten Phase überhaupt nicht Deutsch lernen und auch nicht arbeiten durften. Das heißt quasi nichts tun. Wir haben über die Plattform versucht, das ein bisschen anders zu gestalten. Haben mit Asylwerbern begonnen, Deutsch zu lernen mit ehrenamtlicher Unterstützung von Isop. Was am Anfang auch sehr schwierig war, da wir alle wenig bis null Erfahrung hatten. Auch von der Landes- und Bundesregierung gab es keine Hilfestellung, welches Material brauchbar ist.
Und wie sieht das heute aus?
ANDREA DESCOVICH: Es ist viel Material da, es gibt sehr gute Unterlagen. Das Problem ist aber, dass wir uns das alles selbst zusammensuchen müssen, das beansprucht immens viel Zeit. Ich kann nicht ganz nachvollziehen, weshalb die Unterlagen nicht von einer zentralen Stelle ausgeschickt werden.
GSÖLS: Mir fällt auf, dass es gerade Werke über Grundwerte und Regeln wohl in arabisch aber nicht Farsi, Dari oder Pashto gibt, Sprachen, die die Asylwerber aber sprechen.
Gerade die Vermittlung der Werte unserer Gesellschaft hat bei Ihnen großen Stellenwert. Mit welchem Erfolg?
GSÖLS: Ich habe damals die Agenden über das Leben in Österreich – Grundregeln und Werte – übernommen. Es ist alles freiwillig und wird zum Teil sehr gut angenommen. Man muss sagen, unsere Kulturen gehen grundsätzlich nicht konform, es brauchte teils intensive Gespräche. Wir wollen das auch weiterhin in Ausflügen intensivieren und haben dazu beim Land Steiermark ein Projekt eingereicht (Anm.: Vom Land Steiermark gibt es einen Fördertopf für ehrenamtliche Aktivitäten für Integration).
Wieso ist der praktische Aspekt so wichtig?
GSÖLS: Naja, alleine eine Zugfahrt kann ein Problem sein oder die Frage, wie benehme ich mich im Kaffeehaus und natürlich wie begegne ich einer Frau.
Zum Thema Frau. Wie war es für Sie das erste Mal in den Tafelspitz zu gehen?
ANNA GRIGORIAN: Natürlich war am Anfang auch ungutes Gefühl dabei, auf einmal sind da 50 Männer in einem Quartier.
KUPLEN: Ich habe sie gleich am Anfang zum Fischen eingeladen, natürlich hat man als Frau am Anfang ein mulmiges Gefühl, aber wir sind uns völlig wertfrei begegnet. Das Wichtigste ist ein wertschätzender Umgang und offen zu sein für das Neue.
DESCOVICH: Man muss sagen, bei uns war gleich Spaß dabei. Humor ist ja der beste Eisbrecher, um Vertrauen zu gewinnen. Wir waren mit vielen Vorurteilen, Gerüchten und Stammtischparolen konfrontiert.
Und ist etwas wahr geworden?
DESCOVICH: Sobald ich etwas höre, gehe ich dem nach, aber es hat bei uns weder Vergewaltigungen, Bedrohungen noch Diebstähle gegeben. Sie haben sich nur durch interne Streitereien Probleme gemacht.
KUPLEN: Dass es so friedlich abläuft, ist sicher auch unser Verdienst.
RUDI KULOVIC: Wir sind sicher diejenigem, die den sozialen Frieden stabilisieren.
Dahinter steckt viel Arbeit und Zeit. Wie geht es Ihnen damit?
DESCOVICH: Asylwerber bekommen Bescheide, gehen, neue Asylwerber kommen nach. Man hat manchmal das Gefühl, es nimmt kein Ende und das ist kräfteraubend. Es kostet viel Energie, ist auch eine große emotionale Belastung. Man muss bedenken, wir machen das seit einem Jahr.
Bekommt man da Angst vor einer neuen Flüchtlingswelle?
DESCOVICH: Angst gibt es überhaupt nicht. Aber es braucht bezahlte Kräfte, es kann nicht alles von Freiwilligen übernommen werden. Außer auf Gemeindeebene gibt es leider kein Danke für die Arbeit der Plattform.
GSÖLS: Mich irritiert die Tatsache, das wir in der Steiermark sehr lange brauchen, bis Asylwerber zu einem Interview kommen und auch bis sie ihren Bescheid bekommen. Das ist auch für uns beschwerlich, weil wir unsere Aufgabe darin sehen, ihnen über diese Zeit zu helfen. Es ist dringend notwendig, österreichweit die gleichen Kriterien zu schaffen und die Asylverfahren zeitlich zu verkürzen.
FARID AHMAD FARAHMAND: Es ist ein großes Problem, man muss immer daran denken, was wird unser Schicksal sein. Sobald Post kommt, sind alle gespannt, welche Namen fallen. (Anm. Er wartet seit 13 Monaten auf ein Interview, hat im Tafelspitz mit Nawras Aldebes die Organisation inne).
KULOVIC: Die Gemeinde hat im Rad 40 Leute angestellt, Farid und Nawras teilen sie ein. Es ist wichtig, eine organisierte Tagesstruktur zu schaffen.
DESCOVICH: Beschäftigung ist sehr wichtig, wir haben wahnsinnig viele Aktivitäten organisiert, um Asylwerber integrieren zu können. Große Aktivitäten wie das Taborfest kosten sehr viel Zeit und Geld, und Geld haben wir keines. Um die Integration zu fördern, rufen wir Mitbürger auf, für einzelne Asylwerber Patenschaften zu übernehmen. Hier geht es darum Asylwerber in Gesprächen in unsere Kultur einzuführen, sie zu einem Kaffeehausbesuch mitzunehmen.
KUPLEN: Wir hoffen auch, dass Betriebe sensibel werden und jene Menschen mit einem positiven Asylbescheid zumindest zu einem Vorstellungsgespräch einladen. Wie zum Beispiel Shadi, der derzeit ein Praktikum in der Tischlerei Knaus machen darf (Anm. Shadi Bathish hat einen positiven Asylbescheid).
SHADI BATHISH: Ich freue mich sehr. Ich kann mir entweder den ganzen Tag Gedanken darüber machen, was in meiner Heimat passiert oder ich werde aktiv und bin flexibel.
Zum Abschluss. Wieso ist Ihre Arbeit so wichtig?
DESCOVICH: Ehrenamtliche Plattformen setzen sich für ein problemloses und sicheres Miteinander in der Gemeinde ein. Die Frage für mich lautet: Was wäre geschehen, wenn es keine Unterstützung der Plattform ,Miteinander Leben in Vielfalt’ in Feldbach gegeben hätte? Denn viele Asylwerber, ich betone, viele, nicht alle, sind traumatisiert, sehr unruhig, da sie lange auf Bescheide warten müssen, wohnen beengt, haben keine Beschäftigung, dazu kommen kulturelle Unterschiede. Da sind wir zur Stelle, aber was wäre ohne diese Unterstützung?
Verena Gangl