Es ist ein Tag wie jeder andere und dennoch einer, der sich ins kollektive Gedächtnis der Kapfensteiner Bevölkerung eingebrannt hat: „Es gibt keinen, der nicht weiß, wo er gewesen ist, als das Unglück passiert ist. Weil es jeder gehört, gesehen oder gespürt hat“, erinnert sich Bürgermeister Ferdinand Groß. Am 17. November 2014 detoniert ein Wirtschaftsgebäude im Ortsteil Pretal – zwei Menschen sterben. Die Druckwelle der Explosion wird noch in kilometerweiter Entfernung wahrgenommen. „So etwas hat es noch nie gegeben“, erinnert sich Groß. Das einfache hölzerne Kreuz in seinem Büro bekommt dieser Tage wieder eine besondere Bedeutung.
Sprengmittel-Gemisch als Auslöser
Es war ein Montag, gegen 18.30 Uhr sind zwei Brüder mit der Produktion von Knallkörpern beschäftigt, als ein kleines Sprengmittel-Gemisch explodiert und eine Kettenreaktion an den umliegenden Sprengpulvern auslöst. Ein Lager geht in die Luft. Der Hof wurde regelrecht dem Erdboden gleichgemacht. Einer der beiden Brüder sowie der Vater, der sich zufällig gerade in der Nähe des Wirtschaftsgebäudes befunden hatte, waren auf der Stelle tot. Nur sechs Minuten nach der Detonation waren erste Einsatzkräfte vor Ort. Ihnen berichten Nachbarn und Anrainer später von einem „gewaltigen Feuerball am Himmel.“
Ganze Gebäudeteile stehen in Flammen, ein Hof in Schutt und Asche: „Das Kriseninterventionsteam hat Angehörige und Nachbarn schnell aufgefangen“, erinnert sich der Ortschef. Aus einer Tragödie wurde aber schnell ein Kriminalfall – eine illegale Böllerproduktion fliegt auf: Gebunkert waren auf dem Anwesen Hunderte Kilogramm weiteres explosives Material, wie sich wenige Stunden später herausgestellt hat. Es gab keinen Gewerbeschein und auch keine Betriebsstättengenehmigung.
Jener Bruder und Mitbastler, der die Explosion wie durch ein Wunder überlebt hat, war zum Zeitpunkt des Unglücks sogar Feuerwehrkommandant im Ort. „Dass ein Feuerwehrkommandant Tausende weitere gebunkerte Böller verschwiegen hat, hat uns fertig gemacht. Während des Einsatzes hatten die Kameraden immer wieder gefragt, ob sich noch mehr Material in der Nähe befinde, er hat es aber verleugnet“, erzählt Groß aufgeregt. „Wahrscheinlich war er unter Schock.“
Schnell waren auch die Medien vor Ort, erste Berichte vom Unglücksort gingen live. Ein Chaos, an das sich ein Kapfensteiner gut erinnert. Zufällig trägt er denselben Namen wie einer der Verunglückten und es dauerte nicht lange, bis ihn erste Beileidsbekundungen per SMS erreichten. Eine Wiener Tageszeitung hatte zuvor ein Foto von seinem „Facebook“ geklaut und ihn fälschlicherweise als eines der beiden Opfer deklariert.
Verein umbenannt
Nach zahlreichen Prozesstagen gab es 2019 mehrere Schuldsprüche am Grazer Straflandesgericht. Der Akt gilt seitdem als geschlossen. „Welche Lehren im Ort gezogen wurden? Die Menschen sind sensibler und vorsichtiger geworden“, erzählt Ferdinand Groß. Der jahrzehntealte „Hochzeitsschießer“-Verein wurde kurz darauf zum „Brauchtumsverein“ umbenannt. „Selbst zu Silvester wurden lange keine Raketen mehr geschossen. In Kapfenstein ist es ganz still geworden“, berichtet das Gemeindeoberhaupt.
In der 1500-Seelengemeinde selbst ist der Jahrestag des tragischen Unglücks dieser Tage großes Thema. In der Öffentlichkeit reden aber wollen die wenigsten darüber. „Wir Anrainer wussten zwar davon, dass auf dem Anwesen Sprengkörper hergestellt werden, dachten aber, es handelt sich um einige Kracher für Silvester“, erzählt eine Nachbarin im kleinen Cafe des örtlichen Supermarktes. „Wichtig ist, dass die Angehörigen endlich zur Ruhe kommen. Der menschliche Verlust ist tragisch genug.“