Rund ein Jahr ist seit dem Tag vergangen, der das Leben von Frau S. für immer verändern sollte. In diesem Protokoll schildert die Unfallfahrerin, die bereits vor Gericht stand (wir berichteten), was geschah und will damit vor allem auch zeigen, dass so etwas „jedem passieren kann“.
Frau S. erinnert sich – „ich habe diese Strecke immer gefürchtet“
Vorgeschichte: „Ich habe an diesem Tag meine Mutter besucht, weil ich am nächsten Tag meine erste Bestrahlung bekommen habe. Meine Mutter ist 88 Jahre alt und weiß nicht, dass ich Krebs habe, ich will es ihr nicht noch schwerer machen.“
Straße: „Ich fahre diese Strecke seit mehr als 40 Jahren – und ich habe sie schon immer gefürchtet. Dementsprechend bin ich auch gefahren. An der Stelle, wo es passiert ist, ist eine 70er-Beschränkung und ich bin davor schon langsamer geworden – ich habe auf circa 50 km/h heruntergebremst. Ich wusste ja, dass da immer wieder jemand über die Straße geht. Mir ist dann hinten jemand aufgefahren, der die Lichthupe betätigt hat. Es hat mich geblendet und als ich den Rückspiegel einstellen wollte, machte es auf einmal Tusch.“
Lichtverhältnisse: „Es war so dunkel und die Frau war auch dunkel gekleidet – ich habe sie wirklich nicht gesehen. Ich bin rechts an den Straßenrand gefahren und zurückgelaufen. Die ganze Zeit dachte ich nur: Hoffentlich war es ein Tier.“
Unfallopfer: „Doch da lag ein Körper auf der Straße. Erst, als ich ihn in die stabile Seitenlage gebracht habe, habe ich gesehen, dass es eine Frau ist. Ich wollte nur, dass sie überlebt. Ich dachte nur: Bitte stirb nicht. Bitte, bitte nicht.“
„Zu diesem Zeitpunkt lebte sie noch. Zwei zufällig vorbeifahrende Frauen – eine Krankenschwester und eine Polizistin – haben dann mit der Herzdruckmassage begonnen. Auch Polizei und Rettung waren sehr schnell da. Als dann aber die Krankenschwester meinte, dass ich mich in mein Auto setzen soll, wusste ich, dass es zu spät ist. Irgendjemand sagte dann auch, dass man den Notarzthubschrauber abbestellen kann. Da wusste ich, dass es jetzt geschehen ist.“
Alkoholtest: „Mittlerweile hatte die Polizei die Straße gesperrt und mit den Vermessungsarbeiten begonnen. Ich musste einen Alkoholschnelltest machen, der negativ war. Dann noch einmal mit einem anderen Gerät, um sicher zu sein. Auch dieser war negativ. Der Postenkommandant hat mich befragt, ich musste genau erklären, was passiert war. Auch die Rettung hat sich um mich gekümmert und gefragt, ob ich verletzt bin.“
Kriseninterventionsteam: „Kurze Zeit später kam dann das Kriseninterventionsteam (KIT). Erst dann habe ich meinen Mann verständigt. Die Polizei meinte, dass ich ihm sagen soll, dass ich einen Unfall hatte, aber dass es mir gut geht. Eben genau so, dass nicht auch Zuhause noch Chaos ausbricht. Nicht, dass er zur Unfallstelle rast – und dann passiert ihm auch noch etwas. Mich haben dann zwei Personen vom KIT nachhause gebracht. Sie haben uns wirklich sehr geholfen. Wir wurden zwei Tage lang betreut.“
Appell: „Es war aber trotzdem wie ein Albtraum, aus dem man nicht aufwacht. Ich war damals auch in psychologischer Betreuung, weil ich das alleine nie verarbeiten könnte. Was ich allen mitgeben will – es gibt keinen Tag mehr, an dem mich dieser Unfall nicht verfolgt und ich nicht an die Frau und ihre Angehörigen denke. Fahrt vorsichtig – so etwas kann wirklich jedem passieren.“