Als Tobias das Licht der Welt erblickt, ist der Weltuntergang noch fern. Obwohl viel zu früh geboren – am 21. August in der 33. Schwangerschaftswoche – war er auf den ersten Schrei ein rundum gesundes Kind. „Er ist im Bauch nicht mehr gewachsen, deshalb wurde die Geburt eingeleitet“, erzählt seine Mama Jessica Derler.

Winzig

Schwere Beeinträchtigungen bis hin zu Gehirnblutungen nannten die Ärzte als mögliche Folgen der Frühgeburt, bewahrheitet hat sich nichts davon. „Es war alles total unauffällig.“ Nur winzig sei er gewesen, 1370 Gramm schwer, 42 Zentimeter groß.

Bei seiner Geburt am 21. August war Tobias 1370 Gramm schwer und 42 Zentimeter groß. Auf der Neonatologie im LKH Graz entwickelte er sich gut
Bei seiner Geburt am 21. August war Tobias 1370 Gramm schwer und 42 Zentimeter groß. Auf der Neonatologie im LKH Graz entwickelte er sich gut © KLZ/Daniela Buchegger

Vier Monate und mehrere Weltuntergänge später ist Tobias 4390 Gramm schwer, 55 Zentimeter groß und schwer krank. „Wobei, für uns ist er ein gesundes Kind mit Seitenausgang“, sagen seine Eltern Jessica Derler und Michael Baumgartner, die sich in Burgau ein Zuhause geschaffen haben. Tobias hat einen künstlichen Darmausgang als Folge einer Nekrotisierenden Enterokolitis, einer lebensbedrohlichen Entzündung von Darmabschnitten.

Entdeckt wird diese nach seiner Leistenbruch-Operation mit fünf Wochen, erzählt seine Mama. Noch am Tag der OP wird er auf die Intensivstation verlegt und eine Medikamententherapie eingeleitet. „Es hieß, entweder überlebt er es oder nicht.“

Zerfressen von Furcht

Drei Tage lang kämpft Tobias um sein Leben, während das seiner Eltern still steht, ihre positive Energie, zerfressen von Furcht. Der Weg ins Krankenhaus scheint unüberwindbar, der drohende Abschied vom eigenen Kind undenkbar. „Es war sehr schlimm. Ich konnte ihn nicht ansehen, ich hatte Angst, ihn zu sehr zu lieben, wenn ich ihn dann verlieren würde“, sagt Derler, die ihren Worten und Tränen freien Lauf lässt. Das sind die Momente, in denen sie hadert, verzweifelt – stets an ihrer Seite ihr Partner Michael, der sie stützt.

Am vierten Tag muss Tobias notoperiert werden, weil die Therapie nicht wirkt. Er überlebt und wird in künstlichen Tiefschlaf versetzt. Zahlreiche Maschinen hängen an seinem kleinen Körper, erinnern sich die Eltern. „Jeder kleine Rückschritt war in dieser Zeit ein Weltuntergang für uns.“ Ihrem Umfeld erzählen sie nicht, wie schlimm es um Tobias steht. Sie wollen kein Mitleid, sondern an der Hoffnung festhalten.

„Er wächst wie Unkraut“, sagt Jessica Derler (33), gebürtig aus St. Ruprecht an der Raab, heute schmunzelnd über ihren Sohn
„Er wächst wie Unkraut“, sagt Jessica Derler (33), gebürtig aus St. Ruprecht an der Raab, heute schmunzelnd über ihren Sohn © KLZ / Daniela Buchegger

„Schön ist, dass ich wirklich an Wunder glaube“, sagt die 33-Jährige, während sie wenige Tage vor Weihnachten ihr kleines Wunder in den Händen hält. Das erste Mal nach seiner lebensbedrohlichen Entzündung halten darf sie ihn, nachdem er nach 14 Tagen aus dem Tiefschlaf geweckt wird. „Das war einer der schönsten Momente.“ Von da an geht es bergauf. Nach insgesamt 13 Wochen im Krankenhaus darf Tobias schließlich am 15. November nach Hause.

Alleine sind die Eltern mit der Pflege ihres kranken Kindes – von der Versorgung des Seitenausgangs bis zum Entleeren des Stoma-Sackerls – dort jedoch nicht. Ernestine Weiß und Bettina König von MOKI, der mobilen Kinderkrankenpflege, kommen zu ihnen, um sie zu unterstützen und ihnen ein Gefühl von Sicherheit zu geben. „Es geht darum, dass die Familie gut zu Hause ankommt und bestärkt wird“, erzählt Weiß, die betont: „Zu Hause, im geborgenen Umfeld, erholen sich alle viel besser und schneller.“

Nicht ein Schrei, nicht ein Klagen, nicht einmal ein verzogenes Gesicht macht Tobias, während Ernestine Weiß (links) von MOKI vorsichtig einen kleinen Schlauch in seinen Darm einführt, um diesen zu spülen
Nicht ein Schrei, nicht ein Klagen, nicht einmal ein verzogenes Gesicht macht Tobias, während Ernestine Weiß (links) von MOKI vorsichtig einen kleinen Schlauch in seinen Darm einführt, um diesen zu spülen © KLZ / Daniela Buchegger

Sie weiß aus Erfahrung, dass es viele Betroffene gibt, die so eine Situation zermürben würde. Die oststeirische Familie jedoch nicht. „Wir sind jetzt voller Hoffnung, entspannt und einfach positiv“, sagt Derler, die sehr dankbar für die Unterstützung ist: „Ohne MOKI wüsste ich nicht, wie es mir geht.“

Am Anfang kommen die Intensivkinderkrankenschwestern täglich zur Familie, mittlerweile nur noch zweimal in der Woche, um den unteren Darm von Tobias zu spülen, damit dieser sauber bleibt, erklärt Weiß, während der Kleine friedlich in ihren Armen schläft.

Zwischen Windeltorte und Babywaage reihen sie sich aneinander, Kartons mit Dutzenden Spritzen, Kochsalzlösungen für Spülungen und Stoma-Beutel für den künstlichen Darmausgang
Zwischen Windeltorte und Babywaage reihen sie sich aneinander, Kartons mit Dutzenden Spritzen, Kochsalzlösungen für Spülungen und Stoma-Beutel für den künstlichen Darmausgang © KLZ / Daniela Buchegger

Das kleine Wunder entwickelt sich bestens. Entsprechend positiv blicken alle in dessen Zukunft. Frühestens im Februar könne die Rück-OP des künstlichen Darmausgangs sein, erzählen seine Eltern. Voraussetzung sei, dass sich der Darm bis dahin ausreichend erholt hat. „Und dann ist er ein gesundes Kind mit ein paar Narben am Bauch.“

Ernestine Weiß von MOKI mit Tobias und seinen Eltern Jessica Derler und Michael Baumgartner
Ernestine Weiß von MOKI mit Tobias und seinen Eltern Jessica Derler und Michael Baumgartner © KLZ / Daniela Buchegger