Die Ochsen fühlen sich sichtlich unwohl, das ist auch für Laien spürbar. Nervös scharren die sieben Tiere in der 30 Quadratmeterbox mit den Hufen, wissen nicht, wohin. "Das ist eine sogenannte Tierwohlbox. Ich könnte die Ochsen hier 36 Monate stehen lassen und würde noch immer als Tierwohl-Betrieb gelten", schüttelt Landwirt Siegfried Salchenegger den Kopf. Förderung und AMA-Tierwohl-Gütesiegel inklusive. Genau 4,2 Quadratmeter stehen einem Rind ab 500 Kilo zu, 1,68 Quadratmeter müssen eingestreut sein. "Wenn morgen der VGT kommt und hier Fotos macht, ist das zu Recht ein Skandal. Erkläre den Konsumenten, dass das hier Tierwohl sein soll – das ist lächerlich", ärgert sich Salchenegger, für den es ohne Weidehaltung kein Tierwohl geben kann.
Gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin und seinen Eltern bewirtschaftet er den Bergbauernhof "Moar in Gstein" in der Gemeinde Neumarkt (Bezirk Murau). Hier zieht er Kälber auf, Ochsen haben im Schnitt 25 Quadratmeter pro Tier Platz, dazu ganzjährig Auslauf. Die „Tierwohlbox“ dient nur Demonstrationszwecken. Tierwohl – das ist ein Begriff, an dem sich neben Salchenegger auch weitere Landwirte stoßen. Etwa Georg Petzl, langjähriger Viehhändler und Bio-Bauer aus St. Peter am Kammersberg. Sie wollen zu Missständen nicht länger schweigen, sprechen stellvertretend für viele aus dem Bauernstand, die lieber anonym bleiben. "Die in letzter Zeit aufgedeckten Skandale in der Landwirtschaft haben das Vertrauen der Konsumenten zu Recht erschüttert. Es wird Zeit, dass wir Bauern selbst aufzeigen, was alles schiefläuft", sagt Salchenegger. Nachsatz: "Bevor es der VGT tut."
Konkret dreht sich die Kritik um das Agrarumweltprogramm ÖPUL (Österreichisches Programm zur Förderung einer umweltgerechten, extensiven und den natürlichen Lebensraum schützenden Landwirtschaft) 2023 sowie den GAP-Strategieplan 2023 bis 2027 (Gemeinsame Agrarpolitik). Klingt kompliziert, ist es auch – für Bauern, aber noch mehr für Konsumenten. Ein Unterpunkt in den Verordnungen: "Tierwohl-Stallhaltung". Maßnahmen, die zur "Steigerung des Tierwohls" beitragen sollen. Das ist auch eine Basis für das AMA-Gütesiegel-Zusatzmodul "Mehr Tierwohl".
Die Praxis sieht laut den Rinderbauern anders aus. "Das sind Ramsch-Tierwohlmaßnahmen. Das ist wie das Freilandschweinchen in der Werbung und verkauft werden die Vollspaltenschweine im Supermarkt", seufzt Salchenegger. Dem stimmt auch Viehhändler Petzl zu: "Tierwohl ist eine reine Vermarktungsstrategie." Rund 120 Vermarktungsprogramme für Rindfleisch gibt es in Österreich. Für Petzl habe der Konsument "keine Chance mehr, durchzublicken. Echtes Tierwohl liegt im guten Willen des Bauern".
AMA will Richtlinien überarbeiten
Seitens der AMA verweist man darauf, dass jede Initiative für mehr Tierwohl begrüßt werde. Die Kriterien für das "Mehr Tierwohl"-Programm würden weit über die gesetzlichen Bestimmungen hinausgehen. "Wenn wir jedoch die 4,2 Quadratmeter z. B. auf fünf erhöhen, kommen wir auf das Niveau von Bio", erklärt Kristijana Lastro, Unternehmenskommunikation. "Uns ist es wichtig, den Standard von Tierwohl in der breiten Masse zu heben, deswegen gibt es das AMA-Gütesiegel Tierwohl-Programm." Noch heuer werden die AMA-Richtlinien für Rinderhaltung überarbeitet, Auslauf und Weidehaltung sollen dann berücksichtigt werden.
Ein großes Problem sei indes der wirtschaftliche Druck, unter dem Bauern stehen – man sei gezwungen, immer mehr Tiere einzustellen, weiß Salchenegger. "Aber wer sind am Ende die Blöden, wenn die Tierschützer in die Ställe schauen? Wir", so der Landwirt. Verständnis für Berufskollegen, die Mastbetriebe mit weniger Platz führen, hat der Neumarkter dennoch. "Aber der Konsument soll die Wahl haben, echtes Tierwohl zu kaufen, oder eben nicht." Derzeit sei das kaum möglich, so Viehhändler Petzl: "Die Richtlinien sind oft pervers. Ich hatte vor Kurzem ein Bio-Mastkalb mit 120,8 Kilo. Leider liegt die Grenze bei 120 Kilo. Der Bauer verliert einen Euro pro Kilo, also 120 Euro, weil das Tier nicht in das Vermarktungsprogramm passt – Pech gehabt. Am Ende liegt das Produkt aber mit dem gleichen Preis im Supermarkt."
Eine einfache Lösung für komplexe Probleme gibt es nicht, dessen sind sich auch die Landwirte bewusst. Was sie fordern, ist Transparenz: "Der Konsument wird bewusst belogen, mit Bildern von glücklichen Kühen auf grünen Weiden", macht Salchenegger seiner Wut Luft. Und er verweist auf Deutschland, wo es einheitlich normierte Haltungsformen gibt, die mit einer Art Notensystem ausgewiesen werden. "So ein gesetzliches Gütesiegel brauchen wir. Aber weg von den vielen Programmen, die nicht versprechen, was sie halten."
Apropos Konsument: "Am Markt zeigt sich, dass das Tierwohlsegment noch nicht so nachgefragt wird, wie wir es uns wünschen würden", so die AMA abschließend.