Im April 2018 erfolgte in Kapfenberg der Spatenstich zum weltweit modernsten Stahlwerk. 350 Millionen Euro und drei Jahre Bauzeit hatte die „High Performance Metals Division“ der Voestalpine dafür vorgesehen. Aber dann kam Corona, und damit wurden aus den drei Jahren fünf Jahre und aus 350 Millionen wurden 467 Millionen Euro - eine Kostenüberschreitung um 33 Prozent. Franz Rotter, Chef der High Performance Metal Division, betonte am Mittwoch bei einem Pressegespräch in Kapfenberg, dass man - stünde man heute vor dieser weitreichenden Entscheidung - wieder in Kapfenberg bauen würde. Und dies trotz hoher Energie- und Arbeitskosten: „Wir haben hier Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit höchster Kompetenz. Dies macht andere Standortnachteile wett.“
Bereits seit dem heurigen März wird im neuen Edelstahlwerk produziert, und laut Rotter läuft es sehr gut an. Nach wie vor wird auch im alten Stahlwerk gearbeitet, aber abwechselnd und nie gleichzeitig, „sonst gehen in Kapfenberg die Lichter aus“, so Rotter lapidar. Er spielte damit auf den hohen Stromverbrauch der Stahlerzeugung im Lichtbogenofen an. Und selbst wenn das neue Stahlwerk um 30 Prozent mehr Effizienz bei Energie und Ressourceneinsatz aufweist als das alte, sind es immer noch enorme Strommengen, die hineinfließen. Ende des Jahres wird das alte Edelstahlwerk endgültig abgestellt, es wird demontiert, die Hallen werden künftig für die Schrott-Bewirtschaftung genutzt.
Im neuen Lichtbogenofen werden in einer Charge bis zu 60 Tonnen Schrott und Legierungselemente eingesetzt. Wenn im neuen Stahlwerk gearbeitet wird, geschieht das vor allem an Monitoren und anderen Steuerelementen. 8000 Prozessdaten werden gleichzeitig erfasst und ausgewertet, 280 Kameras überwachen ständig die Produktion, die Proben werden mittels Roboter entnommen. Aber die glühenden Stahlblöcke werden noch immer mittels Kränen aus den Kokillen gehoben und auf Förderbändern abtransportiert - auch das soll automatisiert werden.
Laut Herbert Eibensteiner, dem Vorstandsvorsitzenden der Voestalpine AG, sollen im Vollbetrieb jährlich 205.000 Tonnen Spezialstähle in 200 unterschiedlichen Legierungen produziert werden. Davon gehen 90 Prozent in den Export, die Hälfte auf andere Kontinente. Beliefert werden die Luftfahrt- und Raumfahrtindustrie ebenso wie der Energiesektor, die Chemie- und die Lebensmittelindustrie - generell beliefert man von Kapfenberg aus alle Bereiche, wo Stähle in höchster Güte gefragt sind.
Eine große Herausforderung sind derzeit die strengen Zertifizierungen in Bereichen wie der Luft- und Raumfahrt. Denn obwohl man die gleichen „Rezepturen“ wie im alten Edelstahlwerk verwendet, müssen die Zulassungen erneuert werden. Laut Rotter ist man derzeit sehr intensiv damit beschäftigt, diese „Zulassungsschmelzen“ abzugießen und neuerlich zertifizieren zu lassen. Dies sei vor allem zeitlich eine große Herausforderung.
Eibensteiner verwies auch auf die große Bedeutung dieses Neubaus für die Steiermark und die Region. Im weitgehend automatisierten Edelstahlwerk arbeiten zwar nur 150 Personen, aber diese Investition sichert die Standorte Kapfenberg und Mürzzuschlag der Voestalpine mit insgesamt 3500 Beschäftigten langfristig ab. In der Steiermark hat die Voestalpine übrigens 13 Produktionswerke an neun Standorten mit 9300 Beschäftigten. Der Jahresumsatz betrug zuletzt fast sechs Milliarden Euro, und während das Edelstahlwerk in Kapfenberg fertiggestellt wurde, fiel in Leoben bereits der Startschuss für den Elektroofen „greentec steel“.
Was Eibensteiner und Rotter besonders freut: Die Voestalpine Böhler ist mit diesem Werk nicht nur absolut auf der Höhe der Zeit, es ist auch so konzipiert, dass man weitere Entwicklungsschritte sofort umsetzen, am besten sogar vorwegnehmen kann. Damit sollte man die nächsten 50 Jahre im globalen Spitzenfeld mithalten können.