Aufgezeichnet von Sandra Czadul

Für mich ist es kaum vorstellbar wie du die Reise von Syrien nach Österreich bewerkstelligt hast. Kannst du mir vielleicht ein bisschen darüber erzählen?

Vor fast vier Jahren habe ich beschlossen Syrien zu verlassen. Das war keine leichte Entscheidung, denn meine Eltern und die 13 Geschwister die ich habe, würde ich dann lange nicht sehen. Ich bin froh, dass sie heute noch alle leben und auch einen Weg gefunden haben, dem Krieg den Rücken zu kehren. Damit mir das auch gelang musste ich erstmal viel Geld auftreiben, 7000 Euro brauchte ich in kurzer Zeit. In Syrien habe ich studiert und war Englisch Professor aber damit konnte ich nicht so schnell die notwendige Menge an Geld verdienen, die ich brauchte um so etwas wie eine Mafia und Schmuggler zu bezahlen die mich nach Europa brachten. Deshalb habe ich zusätzlich ein Jahr in einem Hotel gearbeitet und als ich das Geld beisammenhatte, begann die 15 tägige Reise in die Zukunft für mich. Doch der Weg dorthin war sehr lang, schwer und ich hatte sehr viel Angst. Außerdem wusste ich gar nicht was mich in Europa erwarten, und wo ich landen würde. Zu Fuß und mit „Mitfahrgelegenheiten“ konnte ich mich dann irgendwann nach Österreich durchschlagen.

Du sprichst meiner Meinung nach sehr gut Deutsch. Wie hast du das geschafft und was tust du jetzt in Österreich?

Nachdem ich in Österreich angekommen bin war vieles anders und schwierig, eine Sprache die ich nicht verstand und eine Kultur die mir vollkommen fremd war, aber ich war erstmal froh die Reise überlebt zu haben. Als ich den Kulturschock langsam verarbeiten konnte, habe ich mir also überlegt was ich tun kann um mich hier wohl zu fühlen und einen Platz in dieser komplett ungewohnten Gesellschaft zu finden. Für mich war es ein riesen Glück, so viele nette und hilfsbereite Menschen in Österreich gefunden zu haben, die mir nicht nur zeigten wie man hier lebt, sondern auch was ich hier tun kann. Bei Initiativen wie: „Wir zusammen – Begleitung beim Integrationsprojekt“ treffen sich viele engagierte Menschen um sich auszutauschen, sich zu vernetzen, voneinander und miteinander zu lernen.  Außerdem gibt es viele Workshops zu den Themen Kultur, Identität und gewaltfreie Kommunikation. Ich engagiere mich zusätzlich bei „ZIAG -Zusammen ist alles Gemeinschaft“ hier geht es darum Ideen zu teilen z.B. wie Integration funktionieren kann, und was jeder Einzelne tun kann, damit eine Gemeinschaft entsteht. Oh und auch das kurdische Kulturinstitut und „Welcome to our kitchen“ sind tolle Projekte. Bei letzterem können lokale Menschen und Flüchtlinge miteinander kochen – das ist Kulturaustausch der durch den Magen geht.

Welches Bild hat man in Syrien von Europa?

Für mich war es eine Reise in die Zukunft. Denn alles was in Europa aufgebaut und erreicht wurde ist schon sehr fortgeschritten im Vergleich zu abgeschotteten und kontrollierten Ländern wie Syrien. Bevor ich nach Europa kam, dachte ich z.B. die Menschen seien viel klüger doch als ich dann hier war erkannte ich, dass sie auch nur ganz normal sind. Es gibt hier einfach andere Möglichkeiten sich zu entwickeln.

Was waren die größten kulturellen Unterschiede auf welche du dich einstellen musstest?

Oh es war vieles anders. Syrien ist z.B. ein sehr traditionelles Land. Familie ist grundsätzlich das Wichtigste überhaupt und auch Religion hat einen großen Stellenwert. Das ist aber nicht immer positiv, vor allem weil Religion auch einen sehr großen Einfluss auf die Politik hat, wodurch es zu vielen Problemen kommen kann. Menschen haben in meinem Heimatland einen ganz anderen und viel stärkeren Glauben und deshalb ist es auch für viele Frauen so wichtig ein Kopftuch zu tragen. Denn dadurch signalisieren sie ihre Privatsphäre. In Österreich habe ich gelernt, dass Menschen viel freizügiger sind und das Privatsphäre hier anscheinend nicht so einen großen Stellenwert hat. Hier leben die Menschen viel individualistischer. Das habe ich auch bemerkt was das Thema Heirat betrifft oder wie Menschen hier zusammenleben bzw. wie sie es nicht tun. Auch beim Thema Homosexualität habe ich viel Neues gelernt. In Syrien war das nämlich nie Thema, niemand hat darüber geredet. Das ist aber nicht die Schuld der Menschen, sondern der Regierung. deshalb war ich auch sehr verwirrt als ich diese Art von zwischenmenschlicher Beziehung hier kennen gelernt habe. Heute denke ich auch über dieses Thema anders, denn es ist anscheinend so, dass man sich das nicht aussuchen kann, sondern Homo- oder Heterosexuell geboren wird. Die Kultur zu verstehen war nicht ganz einfach und auch eine große Umstellung, aber ich würde sagen ich habe mich ziemlich daran gewöhnt und auch als Mensch verändert. Doch ich muss zugeben, dass ich mein altes Ich manchmal vermisse.

Warum?

Das Leben war einfacher. Ich hatte viel weniger Stress, so etwas wie ein Burn Out gibt es bei uns nicht. In Syrien hatte ich auch keinen E-Mail Account oder ein Bankkonto, so etwas brauchte ich einfach nicht. Ich habe in Österreich auch mal versucht ins Schwimmbad zu gehen, aber das ist einfach nichts für mich. Alle Menschen sind nackt und ich fühlte mich als hätte ich gar keine Privatsphäre mehr. Mir ist auch noch aufgefallen, dass die Werte der Menschen hier vor allem durch die Wirtschaft und Konzerne beeinflusst werden. Das sehe ich, wenn ich mir die Kleidung der Menschen hier ansehe bzw. das Einkaufsverhalten beobachte. In Österreich kaufen Menschen nicht was sie brauchen, sondern das was in Masse in produziert wird. Diese Konsumgesellschaft ist für mich etwas sehr Beunruhigendes.

Was magst du an Österreich und auf was könntest du verzichten?

Mittlerweile fühle ich mich hier sehr wohl, ich habe viele tolerante Menschen kennen gelernt die offen sind und mir gerne, einfach so geholfen haben. Ich mag auch den Gedanken, dass jeder das Recht hat frei zu sein und, dass Menschenrechte hier sehr ernst genommen werden. Auch was ich hier alles lerne ist zwar ein bisschen viel aber eine große Bereicherung. Womit ich leider nicht so gut klar komme ist das Essen. Einmal habe ich Knödel probiert und ich kann bis heute nicht verstehen wie man so etwas mögen kann?

Was sagst du ÖsterreicherInnen die Angst haben ihren Beruf aufgrund steigender Konkurrenz zu verlieren, oder dass so viel Sozialleistungen an Flüchtlinge gehen?

Ich denke sie brauchen sich nicht zu fürchten. Denn unsere Bildung ist ganz anders als in Österreich. Bevor z.B. Menschen aus Syrien den Beruf eines Österreichers ausüben können müssten sie viel lernen. Damit will ich nicht sagen Menschen in Syrien wären dümmer. Wir haben genauso Anwälte, Ärzte und Menschen mit viel Potential, aber wir sind einfach in einem Land aufgewachsen das von Korruption und Abschottung vom Rest der Welt geprägt ist. Das ist aber nicht die Schuld der Bevölkerung. Denn wir sind keine Konkurrenz, wir wollen einfach überleben und wie man auch hierzulande mitbekommen hat, ist Syrien nicht der beste Platz um dieses Ziel zu erreichen.

Was braucht es für ein möglichst gutes Zusammenleben Aller?

Die Erkenntnis, dass Menschen die flüchten nicht automatisch Böses wollen, sondern dass sie wenig Wahl hatten ob sie nach Europa kommen oder nicht. Sie haben das nämlich nicht geplant und die meisten wissen heute noch nicht was sie hier mit ihrem Leben anfangen sollen. Perspektiven zu schaffen wäre schon mal ein Schritt in eine aussichtsreichere Richtung.  Ich glaube außerdem, dass es mehr Spiritualität braucht, welche Art ist ganz egal aber es ist wichtig um zur Ruhe zu kommen, vor allem in einer hektischen Welt wie dieser. Wichtig ist auch die Erkenntnis, dass Veränderung jeden Tag passiert und, dass man sich nicht davor fürchten muss, sondern zu einer positiven Entwicklung beitragen kann. Menschen die nach Europa flüchten können die Brücken sein, die Menschen verbindet und Europäer die Häfen der Zukunft. Es ist wichtig das Menschen aufeinander zugehen, sich füreinander interessieren, sich austauschen und gemeinsam wachen.