Der Schnee knirscht unter den Badeschlapfen. Links hört man, wie am See Eisläufer mit den Kufen ihrer Schlittschuhe Furchen in das Eis fahren. Es riecht nach Winter. Oder eher: nach Kälte. Ein merkwürdiges Gefühl, bei bloß wenigen Grad Celsius über null, mit Schlapfen, im Bikini und Bademantel und mit einer Haube am Kopf neben dem zugefrorenen See in Wald am Schoberpass zu stehen.
Wobei, ganz zugefroren ist der See nicht – nicht mehr. Die Eisdecke hat ein Loch: ein etwa sieben Meter langes und fünf Meter breites, das aus dem Eis ausgeschnitten wurde. Es hat sich bereits eine neue, hauchdünne Eisschicht auf dem Wasser gebildet. "Ein guter Indikator dafür, dass das Wasser richtig kalt ist." Wie kalt? "Zwei bis drei Grad, oder ein wenig darunter. Genau richtig fürs Eisbaden", freut sich Florian Mausser, Ex-Profisnowboarder und "Wim-Hof-Instruktor". Seit "Wim Hof" Teil seines Lebens ist, habe er zwölf Monate Badesaison, sagt er und lacht. Meint es aber voll im Ernst.
Auf Wim Hof, einen niederländischen Extremsportler, ist Mausser vor rund vier Jahren gestoßen. Der damals an Gürtelrose erkrankte Ex-Snowboardprofi tippte bei Google "nie wieder krank" ein, und prompt spuckte die Suchmaschine die "Wim-Hof-Methode" aus. Eine wissenschaftlich anerkannte Methode, die auf drei Säulen basiert: Atmung, Kälte und Mentaltraining.
Die Benefits: Stärkung des Immunsystems, mehr Energie, reduzierter Stresspegel, Entspannung, entzündungssenkend, mehr Fokus und Willensstärke – die Liste ist lang. Eines hebt Mausser extra hervor: "Man ist glücklicher. Weil Glückshormone ausgeschüttet werden." Und: Seit vier Jahren seien weder er noch seine Lebensgefährtin Martina Sowinz (Mentaltrainerin) krank gewesen.
Während die beiden tiefenentspannt auf einer Yogamatte vor den 21 Teilnehmern des "Eisbaden-Workshops" in einer ansteckenden Ruhe und Glückseligkeit von ihren Erfahrungen mit Atmung und Eisbaden erzählen, desto ungläubiger und zugleich gespannter werden die Blicke. Mit jeder verstrichenen Minute wächst die Lust, es ihnen nachzumachen.
Ausatmen und Eintauchen
Als die nackten Zehen knapp drei Stunden später am Seeufer den ersten Eisklumpen berühren, fühlt es sich irgendwie noch nach wenig an – weder kalt noch warm. Wie richtiges "Wim-Hof-Atmen" funktioniert, wurde davor ausgiebig trainiert. Jetzt gilt es nur noch, das eben Gelernte umzusetzen.
Ausatmen und Eintauchen – das ist es, was in den nächsten zwei Minuten passiert: Eintauchen in eine neue Sphäre – in eisige Kälte. "Bauch, Brust und Ausatmen", läuft vor dem geistigen Auge in Dauerschleife. Die Umgebungsgeräusche werden leiser, lauter und tiefer die Atemzüge. Nach wenigen Metern ist die vordere Eiskante erreicht, das Wasser reicht etwa bis zur Hüfte. Bis dahin: kein Bibbern, Stechen oder "Luft-weg-Bleiben".
Augen und Ohren folgen bloß noch den Anweisungen von Florian Mausser, der am Eis wartet. Als die vordere Eiskante erreicht ist, werden die Hände gekreuzt zu den Achseln geführt und nah am Körper gehalten. Den Oberkörper und das Eisbad trennen ab da nur mehr wenige Atemzüge. "Ein und aus. Ein und aus. Ein und aus und – runter."
Atmen. Ansonsten: Leere
Was dann passiert, lässt sich schwer in Worte fassen. Ein neuartiges Gefühl macht sich breit. Wie eine Flutwelle durchströmt ein Kribbeln den Körper bis in jede noch so kleinste Zelle. Alle Konzentration fließt bloß noch in eine Sache: Atmen. Ansonsten: Leere.
Aber auf keine unangenehme Art und Weise. Es fällt leicht, sich fallen und treiben zu lassen. Von Florian Mausser und dem etwa zwei Grad kalten Wasser, das sich um die nackte Haut schmiegt. Als es dann heißt: "Die letzten Atemzüge, dann sind zwei Minuten vorbei", will das niemand so recht wahrhaben.
Als sich der Oberkörper wieder aus dem Wasser hebt, wird es schlagartig warm. Überall. Bereitgelegte Handtücher, Bademäntel, Hauben, Handschuhe und Wollsocken bleiben vorerst unangetastet – es überwiegen Glücksgefühle.
"Mega", sagt Monika Krois. "Die Kälte war nie da", wundert sie sich und strahlt bis über beide Ohren hinweg. Auch ihr Mann Christian meint nur: "Wahnsinn." Dann wechseln die beiden in die Aufwärmübung "Pferdestand".
Beim Blick in die Runde fällt nach dem Eisbad eines auf: Alle 21 Teilnehmer tauschen sich mit einem zufriedenen Lächeln im Gesicht über das eben Erlebte aus. Und obwohl es noch immer nach Kälte riecht, war sie irgendwie nie so richtig da.