Es ist nass und gatschig, der rote Staub hat sich längst in Schlamm verwandelt. Der strömende Regen macht vor nichts und niemandem Halt. Auch nicht vor den Motorrädern, die sich auf dem „Giganten aus Eisen“ tummeln und erwartungsvoll ihre Motorengeräusche erklingen lassen, um dem Berg zu zeigen, wer die Oberhand hat. Auch nicht vor den 19 Frauen, die sich beim Erzbergrodeo in Eisenerz beweisen wollen und unter den 1500 Fahrern, die am härtesten Enduro-Motorradrennen der Welt teilnehmen, klar in der Unterzahl sind.
An dem Freitagmorgen scheint es, als würde der Erzberg mit allen Kräften versuchen, sich gegen die Last der Motorräder zu wehren. Doch weder der Regen, noch die Klimaaktivisten, die die Zufahrt für einige der Fahrer und Besucher blockierten, konnten verhindern, dass der Prolog wie geplant abläuft und den besten 500 Fahrerinnen und Fahrer den Weg zum finalen Hare Scramble am Sonntag ebnet.
Gut aufgenommen im Enduro-Sport
Die langen, blonden Haare versteckt unter dem weiß-blauen Helm, die Regenjacke schützend über die Motorradbekleidung gezogen und das Motorrad fest in den Händen – von Weitem ist kaum zu erkennen, dass sich darauf eine junge Frau befindet. Viktoria Dorfer aus Trofaiach ist Teil der „echten Männer“ und der „toughen Girls“ – so das Motto der Veranstaltung – und nimmt den Erzberg ins Visier.
Bereits zum zweiten Mal nimmt die 18-Jährige am Rodeo teil, im Vorjahr war sie sogar die zweitbeste Frau im Prolog. Die ganze Familie ist im Enduro-Sport verankert und schon seit den frühen Morgenstunden am Erzberg, um sie und ihren Freund, der ebenfalls beim Rennen dabei ist, anzufeuern.
Schon seit vier Jahren fährt sie Motorrad, irgendwann möchte sie es hauptberuflich machen. Von den Burschen fühlt sie sich in dem männerdominierten Sport gut aufgenommen. „Am Anfang werden die Mädl‘s oft unterschätzt, man bekommt Fragen gestellt wie ‚Kannst du das überhaupt?‘. Man muss sich erst beweisen“, erklärt sie. Der Zusammenhalt unter den Frauen sei deshalb umso stärker. Sich gegenseitig unterstützen und auch Vorbildfunktion für andere zu haben, das sei wichtig.
Vorbildfunktion für Frauen
Sandra Gomez ist für viele junge Frauen schon längst zum Vorbild geworden. Ihr Name fällt in jedem Gespräch, der mit Enduro-Sport oder dem Erzbergrodeo zu tun hat, mindestens einmal. Genau wie Dorfer stammt die Spanierin aus einer Familie, die dem Motorsport angetan ist, ihr Bruder Alfredo ist bereits seit Jahren einer der besten Starter beim Rodeo.
„Wenn man beim obersten Level dabei ist, hat man die Verantwortung, anderen Frauen zu zeigen, dass sie an sich glauben können und große Träume haben dürfen“, so Gomez. Für sie spiele es keine Rolle, ob man als Mann oder Frau Motorrad fährt: „Wenn ich den Helm aufsetze, kämpfe ich zuallererst für mich selbst.“
Körperliche Differenzen
Die körperlichen Differenzen zwischen Mann und Frau versuche sie mit schnellerem Denken und guter Technik auszugleichen. „Andere Fahrer haben dafür wieder andere Schwächen“, erklärt sie. Mit ihrer Leistung beim Prolog ist die Fahrerin sehr zufrieden, ihr Start beim Hare Scramble in der zweiten Reihe sei eine Steigerung der letzten Jahre. „Am Sonntag werde ich wieder 100 Prozent geben“, verrät Gomez, und fährt kurz darauf schon wieder weiter mit ihrem rot-weiß-pinken Motorrad, das wie die der anderen Fahrer nicht von dem Schlamm verschont geblieben ist.
„Wünsche mir, normal behandelt zu werden“
Unter den tausenden Zelten, Autos, Motorrädern und Besuchern ist auch Julia Mentrup. Ihre Motorradbekleidung hat sie abgelegt, den Helm durch eine Mütze ersetzt. Den Prolog hat sie längst hinter sich. Zum Thema Frauen im Enduro-Sport meint sie: „Ich wünsche mir, normal behandelt zu werden und nicht irgendwie besonders.“
Mit „besonders“ meint die Namibierin, dass Frauen oftmals für Leistungen Lob erhalten, die der männliche Gegenpart so nicht erhalten würde. „Weil die Leistung eigentlich nicht besser ist, als die der Männer“, erklärt die Newcomerin beim Erzbergrodeo. Aber: „Ich finde es auf jeden Fall cool, dass immer mehr Frauen fahren.“