Vorher noch schnell mit dem Enkerl einen Halbmarathon gelaufen, dann „bin ich einfach gegangen“, erzählt Rudolf Mitteregger (63) aus Mautern. So beschreibt er etwas, was für die meisten unvorstellbar ist: Der gelernte Mechaniker und pensionierte Milchkontrollor machte sich im April von Mautern auf den Weg zum Nordkap. 5100 Kilometer. Zu Fuß. 153 Tage lang.

Die Bäche am Weg waren nach den schweren Regenfällen oft zu reißenden Flüssen geworden und praktisch nicht mehr zu überqueren
Die Bäche am Weg waren nach den schweren Regenfällen oft zu reißenden Flüssen geworden und praktisch nicht mehr zu überqueren © Mitteregger

Ein bescheidener Extremsportler

Auch wenn er mit größter Bescheidenheit über seine Aktivitäten spricht: Rudolf Mitteregger ist Extremsportler. „In meinem Leben habe ich viele solche Sachen gemacht“, erzählt Mitteregger. Höhenbergsteigen, Klippenspringen, Felsklettern – das ist seit Jahrzehnten Mittereggers Welt.

Die unendlichen Weiten genoss Rudolf Mitteregger – sie stellten aber gleichzeitig die größte Herausforderung dar
Die unendlichen Weiten genoss Rudolf Mitteregger – sie stellten aber gleichzeitig die größte Herausforderung dar © Mitteregger

Besonders oft war er in Norwegen und Schweden unterwegs. Dieser Umstand führt zum Projekt Nordkap: Seit Jahren besitzen Rudolf Mitteregger und seine Frau Dagmar eine Blockhütte in Kiruna – als Ausgangspunkt für Skitouren, „oder nur, um in Ruhe die Nordlichter zu beobachten“. Irgendwann war die Vision da, nach der Pension von der Haustür in Mautern zur Haustür der Hütte am nördlichsten Ende Schwedens zu marschieren. „Dann habe ich mir gedacht, die paar Hundert Kilometer von der Hütte zum Nordkap kann ich auch noch gehen.“

Insgesamt spulte Rudolf Mitteregger von Mautern bis zum Nordkap 5100 Kilometer ab
Insgesamt spulte Rudolf Mitteregger von Mautern bis zum Nordkap 5100 Kilometer ab © Mitteregger

„Da muss man stur zu sich selbst sein“

„Zuerst sind die Blasen gekommen. Dann die Druckstellen. Irgendwann muss der Kopf das ausblenden, da muss man stur zu sich selbst sein“, so Mitteregger. 14 bis 16 Stunden am Tag war er unterwegs: „Ich bin um 4 Uhr früh gestartet, und habe nicht aufgehört, bevor es dunkel war.“ 40 Kilometer habe er im Schnitt jeden Tag zurückgelegt. „Man muss sich das mental in Etappen einteilen, wenn man die ganze Strecke auf einmal betrachtet, verzweifelt man.“

Rudolf Mitteregger fertigte nicht extrem viele Fotos an: Die wichtigsten Eindrücke habe er im Kopf, meint er
Rudolf Mitteregger fertigte nicht extrem viele Fotos an: Die wichtigsten Eindrücke habe er im Kopf, meint er © Mitteregger

Bis Rostock war Mitteregger allein unterwegs. Von dort weg machte ihm seine Frau Dagmar mit dem VW-Bus das „Serviceteam“. Wobei sie sich trotz allem tagelang nicht über den Weg gelaufen sind. Denn während Dagmar viele Umwege bewältigen musste, war ihr Mann querfeldein unterwegs. Mit GPS, das nicht immer Empfang hatte und sich Mitteregger daher auf den Orientierungssinn verlassen musste. Eine Hürde: Eine gefühlt unendliche Regenperiode in Norwegen. Bäche waren zu reißenden Strömen geworden und nicht mehr zu furten – und die Klamotten und Schuhe blieben nach dem Queren endloser Moore und Berge dauerhaft nass.

Mit im Gepäck hatte Rudolf Mitteregger ein Ultraleichtzelt mit nur 700 Gramm Gewicht
Mit im Gepäck hatte Rudolf Mitteregger ein Ultraleichtzelt mit nur 700 Gramm Gewicht © Mitteregger

Vier Paar Turnschuhe verschlissen

Mitteregger verschliss vier Paar Turnschuhe. Aber natürlich ging es nicht nur seiner Ausrüstung, sondern in erster Linie ihm selbst an die Substanz: 20 Kilo, also fast ein Viertel seines Körpergewichts, verlor er: Bis seine Frau ihn auf der Reise mit dem VW-Bus immer wieder traf, hatte er einen Rucksack mit 20 Kilo am Buckel, wo Mitteregger an allen Ecken und Enden versuchte, Gewicht zu sparen: „Vom 700 Gramm schweren Ultraleichtzelt bis zur Zahnbürste, wo er extra noch den Stiel abgeschnitten hat.“

Erschöpft am offiziellen Fotopunkt am Nordkap, einem beliebten Touristenziel – aber noch nicht am Ende seiner Reise
Erschöpft am offiziellen Fotopunkt am Nordkap, einem beliebten Touristenziel – aber noch nicht am Ende seiner Reise © Mitteregger

Endlich am Nordkap angekommen, war Mitteregger von den Touristenmassen, die mit Bussen ans Nordkap gekarrt werden, nach so langer Zeit alleine völlig überfordert. „Wir haben Fotos am Fotopunkt gemacht, und sind gleich wieder weg.“ Richtig abschließen habe er die Reise am „echten Nordkap“ können – einem unscheinbaren Punkt einige Kilometer weiter. Zuerst habe er nach dem Erreichen des Ziels „eine große Leere“ verspürt: „Weil ich vorerst nichts mehr zu tun gehabt habe.“

Erst an der unscheinbaren Markierung des wirklichen Nordkaps hatte Rudolf Mitteregger das Gefühl, angekommen zu sein
Erst an der unscheinbaren Markierung des wirklichen Nordkaps hatte Rudolf Mitteregger das Gefühl, angekommen zu sein © Mitteregger