"Ich habe mir das nicht erwartet, in dem Ausmaß dazuzugewinnen", meinte sie - während er seufzte: "Es ist ein mehr als schmerzhaftes Ergebnis für mich persönlich und für meine Partei." Die Rede ist von Elke Kahr (KPÖ) und Siegfried Nagl (ÖVP): Die Grazer Gemeinderatswahl am 26. September 2021 wirbelte die Machtverteilung in der steirischen Landeshauptstadt durcheinander, die KPÖ landete auf dem ersten Platz, die ÖVP verlor zehn Prozentpunkte - und Nagl an ihrer Spitze, er trat zurück. Während Kahr wenige Wochen später das Amt der Bürgermeisterin übernahm.
Zwei Jahre nach dieser Wahl bat nun die Austria Presse Agentur (APA) die Grazer KPÖ-Chefin zum Interview. Dabei verschwieg Kahr nicht, dass sie aktuell enttäuscht von anderen Gebietskörperschaften sei, die nicht sehen würden, "was die Stadt Graz und die Leute, die hier leben, an Mitteln brauchen". Sie sieht "riesige Aufgaben", die die zweitgrößte Stadt auch für die Umlandgemeinden zu leisten habe und für die es an finanzieller Unterstützung fehle: "Damit kann ich mich schwer abfinden und das ist auch teilweise fahrlässig." Kahr meint unter anderem den Finanzausgleich und die Reorganisation bei den Sozialhilfeverbänden an: Letztere werden der Stadt aus Sicht der KPÖ rund 20 Millionen Euro an Mehrkosten bescheren.
Überhaupt sei der Finanzhaushalt eine der momentan größten Herausforderungen - auch wenn Kahr die Stadt nicht vor dem Bankrott sieht: "Viele einnahmeseitigen Überlegungen hängen davon ab, wie viele Ertragsanteile wir kriegen und die hängen auch von den Prognosen des Bundes ab. Die werden aber immer unberechenbarer. Damit kämpfen auch viele andere Städte und Gemeinden." Die Prognose für die Ertragsanteile sei im Juni beinahe das genaue Gegenteil der neuesten Prognose gewesen. Das knappe Budget mache es auch nötig, dass gewisse Gebühren wie Müll, Wasser oder Parken in der Stadt erhöht werden müssen. Ein Gebührenstopp, wie ihn die KPÖ jahrelang in Opposition gefordert hatte und zuletzt auch noch durchgebracht hat, gehe sich angesichts der Inflation nicht mehr aus. Bei den Gemeindewohnungen habe man die Mieten ebenfalls erhöhen müssen, jedoch weniger drastisch als am freien Markt. Bis 2026 werden sie nun in Summe um sechs Prozent erhöht.
"Ist schon befremdlich"
Dass die Bevölkerung meinen könnte, sie halte ihre Wahlversprechen nicht ein, glaube sie nicht, so Kahr gegenüber der APA: "Viele Fehlentwicklungen im Budget sind nicht der jetzigen Regierung geschuldet. Wir haben Verbindlichkeiten übernommen Ende nie. Die Hälfte davon hätten wir wohl auch so gemacht, aber dass man keine Rücklagen für bald fällige Kredite bildet, ist schon befremdlich." Naturgmäß sieht man das bei der ÖVP anders: Unter anderem hatte Ex-Finanzstadtrat Günter Riegler, heute Kultur- und Wirtschaftsreferent, der KPÖ generell "bugdetpolitische Ahnungslosikeit" unterstellt. Und im Detail vorgehalten, sie habe sich beim Gesamtschuldenstand und bei den Zinsen um 300 Millionen verrechnet. Rieglers Kritik: Die Schuldenzahl wurde bewusst hoch belassen, damit man sich jetzt für große Einsparungen feiern lassen könne.
Jedenfalls will Kahr trotz des engen Spielraums in den kommenden Jahren noch rund 200 Gemeindewohnungen bauen lassen. Über 300 habe man bereits geschafft, 500 sei das Ziel: "Wenn wir das nicht schaffen, wäre es enttäuschend für mich", sagte sie zur APA. Ein weiteres großes Projekt, das Kahr nach jahrelangem Hinauszögern durchziehen wolle, sei die Zentralküche. "Wenn alles gut geht, beginnen wir nächstes Jahr zu bauen. Das kostet uns natürlich weit über 20 Millionen Euro, aber das schafft Infrastruktur für die nächsten Jahrzehnte und die Essenversorgung unserer Kinder ist ja nicht irgendwas."
Geplant sind auch zusätzliche Übergangswohnungen und Unterkünfte für Menschen, die sonst auf der Straße wären. "Wir bauen auch gerade das Sozialamt um: Egal ob jemand ein behindertes Kind hat, Pflege braucht, Gefahr läuft seine Wohnung zu verlieren oder auch obdachlos ist: Sie alle sollen künftig im ,Front Office' Auskunft erhalten und nicht länger im Kreis geschickt werden." Man dürfe Obdachlosigkeit nicht nur den NGOs überlassen: "Die öffentliche Hand braucht so etwas, um möglichst früh präventiv zu agieren."
Weitere Ziele bis zur nächsten Gemeinderatswahl seien unter anderem die finanzielle Absicherung der Stadtteilzentren und die Begleitung des Baufortschritts beim Ausbau der Straßenbahnlinie 5 in Puntigam sowie der Entlastungsstrecke. "Wir wollen auch Gehwegverbesserungen schaffen und die Grünbereiche von Wohnquartieren weiter im Auge haben." Ziel sei es auch noch die festgelegten Einkommensobergrenzen, ab der man für den Kindergarten zahlen muss, zu erhöhen: "Wir können es nicht gratis machen, das wäre unrealistisch, aber die mittleren Einkommen sollen mehr entlastet werden."
Murggs "schwerer Fehler"
Über ihren Parteikollegen Werner Murgg, der ein Landtagsmandat hält und in den vergangenen Jahren manchmal sprachlich, manchmal politisch daneben gegriffen hat, will Kahr nicht viel reden: "Das ist Sache der Landespartei." Sie selbst vertraue Murgg, er arbeite für die Leute. Und die Konsequenzen in Form von lauter Kritik anderer Parteien habe er ohnehin selbst zu tragen: "Es ist seine eigene Entscheidung, wenn er sagt, er hält das aus." Mit so mancher Wortwahl - Stichwort "Krüppelnation" - sei sie aber auch heute noch nicht einverstanden: "Das kann man so nicht sagen. Ich weiß aber, was er gemeint hat." Sein Interview im Staatsfernsehen in Belarus halte sie nach wie vor für einen "schweren Fehler" ihres Parteikollegen.
Kahr wurde erst vergangene Woche für ihre "Robin Hood-Politik" von der in London ansässigen philanthropischen City Mayors Foundation als "Bürgermeisterin des Jahres" nominiert. Unter den 25 Männern und Frauen finden sich auch Namen wie Vitali Klitschko, Bürgermeister der ukrainischen Hauptstadt Kiew. "Es freut mich natürlich unter den 25 besten und nicht den 25 schlechtesten Bürgermeistern der Welt zu sein". Chancen rechne sie sich aber nicht aus. "Es ehrt einen, dabei zu sein und bringt vielleicht auch positive Werbung für die Stadt." Klitschko kenne sie eher als Boxer und weniger als Bürgermeister, aber weil er in einem Land sei, das derzeit ein "fürchterliches Elend erlebt, wäre es ihm zu wünschen, dass er es wird".
Als eine Art "Robina Hood" sehe sie sich nicht unbedingt: "Leider darf ich das ja nicht machen, vielleicht ist es sogar schon zu gewagt, wenn ich das so sage. Aber Robin Hood hätte ich mich sofort angeschlossen", meinte Kahr schmunzelnd und fügte hinzu: "Wir versuchen die Robin Hood-Politik nun eben in geordneten Bahnen."
Ingrid Kornberger (APA)