Ellbogen hoch, Rücken gerade, Sehne zurückziehen, tief einatmen – beide Augen offenlassen – ausatmen, einatmen und loslassen. Sirrend verlässt der Pfeil die Sehne, schießt davon und bohrt sich mit einem dumpfen Geräusch in den Bauch des Schaumstoffbisons, das auf der anderen Seite des Parcours steht. Das Ende vibriert noch kurz, dann wird es wieder still, bis Obmann Wolfgang Wieland den Pfeil mit einem Ruck wieder herauszieht.
Crowdfunding für Plastikhirsche
Wieland – der inzwischen pensionierte „Big Boss“ des Semriacher Bogenvereins – hat vor 20 Jahren seine Liebe zum Schießsport entdeckt. „Bei den Country Festen im Ort konnte man das immer ausprobieren“, erzählt er bei einem Glas Cola im Trattnerhof. „und ich fand es schade, dass es die Chance nur einmal im Jahr gab.“ So wurde 2004 der Verein geboren, der zunächst nur aus einer kleinen Runde Schützen bestand. „Wir haben eigentlich mit 0 Euro und einer Idee angefangen“, erzählt Wieland.
Ein halbes Jahr lang sammelten die Bogenschützen für ihre ersten Schaumstofftiere: „Und darunter konnte sich ja keiner was vorstellen: Ein Plastikhirsch, auf den man schießen kann?“, lacht Wieland. Mit der Unterstützung der Gemeinde und rund 75 Betrieben kam aber schließlich genug zusammen, um den Einschießplatz und die Bogenhalle am Trattnerhof zu bestücken. Als erstes Tier zog übrigens jener Bison ein, der immer noch am Schießplatz im Gras steht – inzwischen schon deutlich blasser als vor 15 Jahren.
Das Geheimnis des perfekten Parcours
Kein Jahr nach der Eröffnung der Halle, die übrigens in der Steiermark einzigartig ist, kam der Outdoor-Parcours dazu: Über zwei Stunden führt die Route mitten durch das Gelände – „alles ist so naturbelassen wie möglich“, sagt Wieland. Brücken oder Stege gibt es keine, die 28 Ziele wurden so gut wie möglich in den bestehenden Wald integriert. Das Wichtigste sei dabei immer, dass es einen Backstop gäbe, erzählt der Obmann. Also ein Netz oder ein Hang, damit keine Querschläger durch den Parcours fliegen können. Aber auch die Qualität der Tiere spielt eine große Rolle: „Wenn man irgendwohin kommt und alles zerschossen ist, macht das keinen Spaß.“ Die Ziele seien quasi das Aushängeschild eines Vereins.
Kein Randsport mehr
Bogenschießen liegt schwer im Trend: Gut 15 000 Schützen gibt es in der Steiermark - allein im Umkreis des Semriacher Parcours liegen sechs weitere Anlagen. „Kein Wunder“, meint Wieland. Bogenschießen sei ein leistbarer Sport, der bei jedem Wetter möglich ist. Und vor allem: „Es ist sehr intuitiv und ein guter Ausgleich zum Stress im Alltag."
Letzte Frage: Würde er wieder einen Verein gründen? „Natürlich“, sagt Wieland im Brustton der Überzeugung. „Es ist viel Arbeit und je mehr man mit dem Verein beschäftigt ist, desto weniger kommt man zum Schießen - aber es ist so ein wunderschöner Sport.“
Nichts rührt sich im Wald, nicht einmal die Kunststofftiere, als der Obmann über den Schießplatz geht – aber lange wird es aber nicht so bleiben: Zum Vereinsjubiläum kamen am Wochenende gut 150 Schützen zu einem Freundschaftsturnier zusammen.
Ludmilla Reisinger