"Rund 80 Prozent aller Pflegebedürftigen werden zu Hause gepflegt, auch in Graz", unterstrich Doris Kampus, Soziallandesrätin und Vorsitzende der SPÖ Graz, am heutigen Mittwoch bei der Vorstellung eines "Meilensteins", wie sie es nannte: Die Stadt Graz stellt ab Jänner im Rahmen eines Pilotprojekts 15 pflegende Angehörige an. Damit setzt die Rathauskoalition ein Anliegen um, das die SPÖ in die Koalitionsverhandlungen nach der letzten Gemeinderatswahl eingebracht hatte. An der Seite von Kampus präsentierten Vizebürgermeisterin Judith Schwentner (Grüne), Gesundheitsstadtrat Robert Krotzer (KPÖ) sowie die Leiterin der Grazer "Pflegedrehscheibe", Norma Rieder, das Projekt.
Pflege von Familienangehörigen als Armutsfalle
Im Fokus hat man dabei nicht nur das Wohl der Menschen, die am liebsten zu Hause gepflegt werden möchten, sondern auch die oftmals prekären Verhältnisse jener, die das durch ihren persönlichen Einsatz ermöglichen. "Die Pflegetätigkeit ist oftmals eine Armutsfalle. Viele pflegende Angehörige geben ihre Vollerwerbsarbeit auf, in der Pension fehlen ihnen wichtige Versicherungsmonate", unterstrich Krotzer. Die Folge: Altersarmut. Sie trifft in erster Linie Frauen, die den Löwenanteil der Pflegearbeit im Familienkreis stemmen.
Initialzündung für steirische Lösung
Langfristig soll das Projekt auch dazu beitragen, die bestehenden Engpässe bei mobilen Diensten und in Pflegeheimen zu entschärfen. "Die Pflege steht mit dem Rücken zur Wand. Dass wir mit 15 Personen nicht das Pflegeproblem beheben, ist klar, aber das Projekt soll eine Initialzündung sein", unterstrich in dem Zusammenhang die Leiterin der "Pflegedrehscheibe". 700.000 Euro nimmt die Stadt für das Projekt in die Hand, das in einem ersten Schritt ein Jahr läuft. Darüber hinaus hofft man, dass das Land den Ball aufnimmt und die Anstellung pflegender Angehöriger über kurz oder lang steiermarkweit möglich macht und finanziert – ein Weg, den das Burgenland als erstes Bundesland Österreichs bereits 2019 beschritten hat. Entsprechende Gespräche mit dem neuen Gesundheitslandesrat Karlheinz Kornhäusl (ÖVP) hat Kampus auf der Agenda. "Es macht Sinn, das in Graz zu erproben, im Land wird das mit Interesse beobachtet", so Kampus.
Wer, wo, wie? Das Grazer Pilotprojekt im Detail
Wer kommt für eine Anstellung infrage? Erwerbsfähige pflegende Angehörige ab 18 Jahren, die eine Person mit der Pflegestufe 3, 4 oder 5 pflegen. Beide müssen in Graz ihren Hauptwohnsitz haben und EU-Bürger sein. Nicht angestellt werden Personen, die in Pension oder Karenz sind. Das Einkommen bzw. die Pension des Pflegebedürftigen muss unter 1400 Euro liegen, das Pflegegeld wird hier nicht miteingerechnet.
Wo kann ich mich melden? Bei der "Pflegedrehscheibe" unter pflegedrehscheibe@stadt.graz.at. Im November finden dann zwei Infotermine für angemeldete Interessierte statt (15. November, 11 Uhr, und 20. November, 16 Uhr, im Hörsaal Albert Schweitzer, GGZ, Albert-Schweitzer-Gasse 36, 8020 Graz).
Muss ich irgendwelche Kenntnisse nachweisen? "Wir schauen natürlich genau hin, ob jemand geeignet ist, den Pflegebedarf zu erbringen, hier geht es ja um Schutzbedürftige", unterstreicht Rieder. Ein Besuch einer Amtssachverständigen ist vorgesehen. Dazu kommen: ein Erste-Hilfe-Kurs und kostenlose Kurse zu unterschiedlichen Themen aus der Praxis im Ausmaß von insgesamt 26 Stunden.
Wie hoch ist die Entlohnung? Anstellungen sind für 20, 30 und 40 Wochenstunden möglich. Netto erhält man dafür 1200, 1600 beziehungsweise 2000 Euro. Finanziert wird das Pilotprojekt von der Stadt Graz. In der Pilotphase werden Pflegende über eine Leasingfirma angestellt.
Was bedeutet das finanziell für Pflegebedürftige? Der Selbstbehalt, den Pflegebedürftige bezahlen, beträgt 50 Prozent des Pflegegeldes. Die restliche Finanzierung erfolgt durch das Sozialamt der Stadt Graz. Damit geht man andere Wege als das Burgenland, wo das gesamte Pflegegeld in die Bezahlung des pflegenden Angehörigen fließt.