Man merkt, dass er ein Stammgast ist: Während wir uns mit Paul Pizzera in der Gamlitzer Weinstube mitten in der Grazer Innenstadt – und gleich um die Ecke seiner Wohnung – treffen, grüßt er dauernd die vorbeikommenden Mitarbeiter, vom Koch bis zum Chef. Während des Interviews schneit dann auch noch Otto Jaus herein: Die beiden wollen noch schnell etwas essen, bevor sie zur Probe für den Burg-Clam-Auftritt nach Gratwein eilen.
Mit Pizzera & Jaus haben Sie die Stadthallen in Wien und Graz ausverkauft, als Headliner am Donauinselfest gespielt und Platinstatus erreicht … Das kann man schon "Superstar" nennen.
PAUL PIZZERA: Wenn, dann ein Irrlicht, aber sicher kein Superstar. Aber ja, im bayerischen Sprachraum sind wir gut dabei und das ist sehr schön und dafür sind wir sehr dankbar – aber dafür muss man etwas tun, sonst faulen einem die Lorbeeren unterm Arsch weg. Deswegen sollte man seinen Beruf immer mit genügend Demut, Dankbarkeit und noch immer einem Quäntchen Ehrgeiz wahrnehmen. Es ist daher auch so schön, wenn man immer noch total nervös ist vor jedem Auftritt: Weil ein Bogen gespannt sein muss, damit der Pfeil weit fliegen kann.
Hoffen Sie auch, dass Ihnen dieser Respekt, dieses Lampenfieber auf der Bühne auch erhalten bleibt?
Wenn ich nicht mehr nervös bin, hör ich auf, hab ich immer gesagt. Ganz sicher. Weil das ist dann nicht mehr das Richtige.
Haben Sie sich das auch nur ansatzweise vorstellen können, was Sie erreicht haben?
Nein. Also ganz ehrlich, diese verschiedensten Komponenten, die ich mit meinem kreativen Tuscher ausleben darf, das ist ein Wahnsinn. Ob das jetzt Pizzera & Jaus ist, die "Hawi D'Ehre"-Podcasts, die Bücher, der Kinofilm, es ist schon arg. Und das ist schon cool. Es ist ein wahnsinniges Privileg, dass man das machen darf, aber eben – von nix kommt nix. Gut abliefern muss man sowieso, aber es ist auch wichtig, dass man seinen eigenen Kompetenzradius erkennt. Ich weiß zum Beispiel, dass ich nicht die Wiener Philharmoniker dirigieren kann. Es gibt oft diesen Innenski-Fehler von den kreativen Menschen, die sagen: "Das kann ich auch." Ich weiß genau, was ich nicht kann, und darüber bin ich sehr froh.
Wann können Sie nach einem Auftritt zufrieden ins Bett gehen?
Ich muss mit mir zufrieden sein, mit meiner Leistung. Ich probiere einfach, mit den Songs so viel an Emotionen aus dem Publikum herauszudestillieren, wie es geht. Die können ergriffen sein, wenn es um ein Liebeslied geht, oder bei "Klana Indiana" um psychische Sachen oder beim "Mama"-Lied, wenn die tätowierten Hawis in der ersten Reihe weinen, weil es da offenbar privat etwas gegeben hat. Und bei den lebensbejahenderen Songs dann wieder hupfen und schreien. Dieser Hybrid aus diversesten Gefühlen, die ein Mensch haben kann: Wenn ich merke, das ist durchgedrungen – dann bin ich zufrieden.
Was sagt der Jaus dazu, dass Sie ihm jetzt mit dem Seiler untreu werden?
Der Jan Delay hat einmal gesagt: "Wer Hip-Hop macht, aber nur Hip-Hop hört, betreibt Inzest." Wir gönnen uns gegenseitig alles, das ist klar. Wenn Otto mit dem Niavarani Theaterspielen mag, sag ich auch nicht Nein. Die Dinge bei "Aut of Orda", die mit einem Augenzwinkern zu nehmen sind, die gehen mit Pizzera & Jaus nicht so. Da haben wir eine wahnsinnig breite Fankultur von 5 bis 80. Viele von den Kleineren verstehen vielleicht noch nicht die ganze Doppelbödigkeit. Und Otto und ich haben uns trotzdem sehr, sehr lieb.
So wie im aktuellen Lied "Mi Amor" …?
Da habe ich die Idee gehabt, den ganzen depperten Musikmarkt einmal den Spiegel vorzuhalten –, dass man alles singen kann, Hauptsache, es ist eine andere Sprache. Wir haben einen Sambarhythmus genommen, und dann hören auf Ö 3 auf einmal zwei Millionen Leute "Du Hurensohn". Diese Perfidität wollte ich einmal aufzeigen, das ist einfach ein anderes Projekt.
Wie waren die Reaktionen?
Es gab sehr viele. Die Kinder singen "Ich hol' die Butter", die Erwachsenen "Hijo di Puta". Das ist eine schöne Abwechslung. Wenn das aufgeht, dann bin ich stolz.
Diese Woche wurde auch bekannt, dass Sie mit "Aut of Orda" ein ganz besonderes Projekt wagen …?
Ja, am 17. Oktober werden der Dani Fellner, der Christopher Seiler und ich in ein Bandcamp gesteckt: Wir haben 100 Stunden Zeit, eine 100-Minuten-Show zu machen, die dann in der Marxhalle stattfinden wird. Das wird ein ziemlicher Auftrag, kann aber in momentan 17 gleichmäßig plausiblen Wegen scheitern. Ich bin ein Typ, der sich durch Leistung spürt, ich hackle lieber zu viel als zu wenig. Das schlägt sich zwar manchmal auf die Physis nieder, aber es taugt mir einfach. Es ist noch so viel in mir, das hinaus will und soll, schlafen kann ich eh, wenn ich hin bin. Das passt schon.
Haben Sie mit ihren Projekten den deutschen Markt im Visier? Oder müsste man sich da zu sehr verbiegen?
Wir bleiben sicher auf der Dialektschiene, das auf jeden Fall. Bis Hessen kann man gut hinauf spielen, dann wird es schwierig. Oder man müsste wieder von null anfangen. Wir bekommen Angebote aus Hamburg und so weiter, aber das passt so. Es gibt noch genug. Vielleicht passiert einmal etwas, aber ich mag nicht anfangen, aus einer Berechnung heraus auf Deutsch zu singen. Wenn's passt, schreib ich für andere Lieder in Hochdeutsch, das ist ok, aber für mich hats bis jetzt noch nicht gepasst.
Sie haben zwei Bücher geschrieben, die sich beide um die Psyche drehen, wie war denn da das Feedback?
Das Feedback war großartig, ich war sehr, sehr dankbar. Wenn du als XYZ-Promi in Österreich etwas bewirken kannst, dass sich Leute leichter damit tun, Hilfe anzunehmen, ist das genau das Richtige. Wir haben Tausende Mails und Nachrichten bekommen – Leute haben etwa geschrieben: "Danke, jetzt ist mein Mann endlich so weit, dass er zu einem Profi geht." Einfach die Angst vor therapeutischen Gesprächen nehmen, die Wichtigkeit von psychischer Hygiene zu unterstreichen, dieses völlig antiquierte Bild vom starken Hawi korrigieren, der das schon alleine schafft, weil "Ein Haberer und vier Bier, das ist meine Therapie" – das ist es eben nicht. Ich war selber an dem Punkt, habe mich dazu durchringen müssen, Hilfe anzunehmen – und es hat mir einfach nur gutgetan. Es braucht wahre Stärke, zuzugeben, dass man etwas nicht alleine schafft. Ich glaube, man ist auch seinem Umfeld gegenüber verpflichtet, die beste Version von sich zu sein.
Was tun Sie selbst laufend für Ihre psychische Gesundheit?
Dinge wie Waldbaden, Berggehen, gut Essengehen, einmal ein Vollrausch – das gehört auch dazu. Man glaubt ja immer, dass Künstler total frei sind – aber du weißt genau, wo du am 21. 8. 2024 sein musst, es ist alles sehr getaktet, du brauchst aber wahnsinnig viel Disziplin. Saufen und Drogen und Weiber – das geht sich nicht aus, wenn du so ein Pensum hast. Der Alice Cooper ist seit 40 Jahren im Rockgeschäft, so etwas geht nur mit eiserner Disziplin. Der Otto und ich haben auch noch nie vor einem Auftritt etwas getrunken. Nie. Weil wir einfach so klar und so da sein müssen. Die Leute, die sich Karten gekauft haben, haben es verdient, dass wir uns den A… aufreißen für sie.
Gibt es etwas, das Sie verlässlich auf den Boden der Tatsachen zurückholt?
Jeder braucht Erdung, egal welcher Beruf. Naturgewalten wie Unwetter oder einfach das Meer – Dinge, bei denen du merkst, wie wurscht deine Probleme sind, es ist eine Hochmutsprävention, wenn du siehst, dass sich alles ohne dich weiterdreht. Das hilft, die eigene Winzigkeit vor Augen geführt zu bekommen, das kann etwas total Entspannendes sein.
Sie haben Ihre Roots eigentlich in der Poetry-Slam-Szene, verfolgen Sie das noch?
Ja, 2007. Verfolgen tu ich es wenig, aber es haben einige, mit denen ich damals angefangen habe, ziemlich coole Karrieren hingelegt. Zum Beispiel bin ich gegen einen gewissen Torsten Sträter angetreten, mit Yasmo habe ich auch gemeinsame Sachen gemacht. Aber das Problem war, ich wollte immer etwas mit Musik machen, und das ging da nicht.
Sie haben aber auch im Grazer Theatercafé gejobbt …
Ja, 2010 habe ich dort angefangen, ich war Chef vom Dienst – das klingt jetzt mehr, als es ist, es war Sesselzusammstellen und schauen, dass der Künstler alles hat. 2011 habe ich beim Kleinkunstvogel mitgemacht – weil ich aus einer Cuvée von Neugier und Arroganz gesagt habe, das kann ich auch. Jeder, der sich auf eine Bühne stellt, hat einen gewissen Tuscher – denn was gibt es Komischeres, als von einer anonymen Masse hören zu wollen, dass man super ist. Das hat mit Insuffizienzgefühlen oder mit Selbstwert-Ermangelung zu tun. Die, denen es gut geht, sitzen meistens unten.
… und Sie haben dort sehr viele Auftritte gesehen, von wem haben Sie sich am meisten abgeschaut?
Von sehr vielen, vor allem dem Martin Puntigam und dem Mike Supancic. Die haben mich schon sehr beeinflusst. Der Martin war sehr radikal, er hat in der Pause immer gefragt – "und, is' wer gangen?". Das hat mich sehr beeindruckt, wenn einer da so drübersteht. Er ist halt eine coole Sau. Obwohl er vielleicht damit kokettiert hat.
Wer ist insgesamt Ihr humoristisches Vorbild?
Mein größtes Vorbild auf der künstlerischen Seite ist unangefochten der Thomas Spitzer. Weil er sowohl menschlich als auch künstlerisch das Beste ist, das wir lebend in Österreich haben. Ich bin auch wahnsinnig stolz drauf, dass ich ihn zu meinen Freunden zählen darf. Wir besuchen uns gegenseitig, wir schreiben zusammen, wir schätzen uns sehr – das hätte ich mir nie erträumen lassen, vor allem weil "Im Himmel ist die Hölle los" von der EAV damals meine erste CD war.
Sie sind ein großer Verfechter des steirischen Dialekts, was sind Ihre Top drei Lieblingswörter auf Steirisch?
Boah, ich glaub, das ist einfach. "Ogöllt" ist natürlich super, das ist schön, sehr blumig. "Malforo", die Aussprache von Marlboro – "host du ane Malforo einsteckn?", das taugt mir. Man braucht eine gewisse Selbstironie, wenn man steirischen Dialekt spricht. Und das dritte, hm …: "Bist owa a festa Gougga dou!", das ist schon gut. Was Hans über Hänschen sagt, sagt man ja über Hans. Das ist schon schön.
Sie haben jetzt auch noch Ihren ersten Film gedreht, wie ist es dazu gekommen?
Er wird "Pulled Pork" heißen und kommt in der ersten Oktoberwoche raus, es ist eine Mischung aus Guy Ritchie und "Bad Boys" in der Südsteiermark, es geht um Korruption in Österreich, es ist also eine Realsatire. Die Musik hab ich mit Daniel Fellner von "Aut of Orda" gemacht. Eine richtig coole Erfahrung, aber mit Livespielen kann man's nicht vergleichen.
Angebote hätte es ja davor sicher schon einige gegeben …
Meine Bedingung war immer, dass ich mitschreiben kann. Wenn ich Sätze sagen muss wie "Ich hab keinen Waschbrettbauch, sondern einen Waschbärbauch", Oida, da bring ich mich um, wenn ich das sagen muss. Das war schon als Kind unwitzig. Aber leider sind die Leute, die so etwas schreiben, sehr eitel. Mit Regisseur Andreas Schmied war's eine super Zusammenarbeit, für ihn war das kein Problem. Dann wollte ich auch noch die Filmmusik machen, das war ok, also perfekt. Nur ein bisserl fordernd sein.
Haben Sie noch immer eine Wohnung in Graz?
Mitten in der Innenstadt, deshalb haben wir uns auch hier in der Gamlitzer Weinstube getroffen – erstens einmal ist es super essen und zweitens weil es nah ist. Ich bin immer noch hier gemeldet. Es ist selten, dass ich da bin, aber Geburtstagsfeiern, Freunde abklatschen, die Mama treffen … mich wird Graz nicht an Wien verlieren, nicht zum wirklichen Wohnen. In Wien bin ich im Hotel, da muss ich kein Häuslpapier kaufen und Bett überziehen. Und sonst lebe ich aus dem Koffer.
Ist Graz ein Rückzugsort für Sie?
Ja, voll. Es ist einfach alles gemütlicher, wir sind 200 Kilometer südlicher, das merkt man sowohl am Wetter als auch an den Leuten. Bei uns ist Samstagabend so viel los wie in Wien am Sonntagvormittag, das ist schon gut.
Wenn Sie in Graz sind, sind Sie ganz normal auf der Straße unterwegs oder ziehen Sie sich ein bisschen zurück?
Ja, geh, bitte hören Sie auf, das ist lächerlich. 90 Prozent von den Leuten fragen eh höflich, und wenn du freundlich reagierst, ist es in einer Minute erledigt. Sonst musst du einen anderen Beruf machen, wenn du das nicht willst. Wenn du schon sagst, mah, ich trau mich nicht hinausgehen, wie muss es dann erst einem Ed Sheeran gehen. Meistens ist das ein Zurschaustellen-Wollen der eigenen Wichtigkeit. Die meistens sehr obsolet ist. Ich bin ein Star zum Aus-, äh, Angreifen. Grenzen gibt es schon – wenn einer absolut unhöflich ist oder auch bei meistens alkoholisierten Damen, bei denen die Hände schon sehr locker sitzen. Das wär umgekehrt dramatisch schlimm – und auf der anderen Seite wurde lange genug gelitten, deshalb versuchs ich nicht zu sehr zu dramatisieren. Aber es ist unangenehm. Da kann man sich aber wehren. Ich bin ein großer Bub, ich kann reden und ich kann laufen, passt schon.
Es ist kein Geheimnis, dass Sie ein Schwoaza sind, beschäftigt Sie auch die Stadionfrage?
Ja, durch und durch – und auf jeden Fall, Sturm braucht eine eigene Heimat. Und wenn wir Eindhoven daheben und in die Champions-League-Gruppenphase kommen, dann gibt's auch keine Ausrede. Das braucht es, stell dir vor, wir müssten in ein anderes Stadion ausweichen, das hat keinen Sex. Das wäre Sturm einfach würdig. Und die Fans haben es sich mit der Wertschätzung gegenüber ihrem Verein auch einfach verdient, dass das ein eigenes Stadion ist.
Was schätzen Sie an Graz? Und verfolgen Sie, was sich hier politisch tut?
Ich bin wahnsinnig froh, dass ich hier alles per Fuß erreichen kann. Ich finde, dass die Elke Kahr das absolut super macht, mit dem Robert Krotzer habe ich übrigens Philosophie studiert. Ich find es total cool, dass jetzt beschlossen worden ist, dass bei Neubauten Grünflächen erhalten werden müssen. Am meisten am Herzen liegt mir – auch wenn es ein First-World-Problem ist – aber dann doch das Sturm-Stadion.
Geboren sind Sie aber gar nicht in Graz, sondern in Deutschlandsberg, aufgewachsen in Hitzendorf – verbindet Sie noch etwas mit der Weststeiermark?
Hermann-Buchner-Volksschule, selbstverständlich! Auch meine ersten Fußballspiele habe ich in Hitzendorf absolviert. Ich fahre noch immer sehr, sehr gern durch – es ist das schönste Tor zur Weststeiermark. Der Ort hat mich schon geprägt. In Köflach hat meine Mutter ihre Praxis, sie wird jetzt im Jänner endlich in Pension gehen – mit 65 Jahren. Sie hat immer gesagt, wenn die Männer bis 65 arbeiten, mache ich das auch. Dabei muss sie ja nicht aus einem feministischen Standpunkt aus auch das übernehmen, was schlecht ist. Und die Schilcherweinstraße ist natürlich eine der sieben schönsten, die wir haben – ein biss'l Klapotetz schau'n, das ist immer schön. Zu Deutschlandsberg fällt mir noch das "Schule für Äthiopien"-Projekt von Peter Krasser ein, da waren wir immer sehr gerne dabei. Und Hans Kloepfer – es ist so deppert, weil er so ein Nazi war, aber der hat so geile steirische Gedichte geschrieben – unglaublich. Da gibt's eines, das heißt "Dahoam", das handelt von zwei Bauern, die mit dem Abendzug heimfahren und der eine erzählt ganz genau, wie weit er noch vom Bahnhof Wies-Eibiswald heimzugehen hat, und der andere dreht fast durch dabei.