Fast acht Millionen Euro hat das Land Steiermark seit 2017 an 554 anerkannte Opfer von Gewalt und Missbrauch überwiesen, die in ihren Kindesjahren einst unter Fürsorge und Aufsichtspflicht des Landes in Heimen und bei Pflegeeltern viel Leid erfahren mussten (wir berichteten).

Aber welche Schicksale stecken hinter diesen Zahlen? Darüber kann Marina Sorgo, die Leiterin des Gewaltschutzzentrums, das als Clearingstelle für die Prüfung solcher Fälle fungiert, Auskunft geben: "Das sind Erzählungen, die einem schlaflose Nächte bereiten können." Wir reden von unterschiedlichen Opfer-Generationen: Jene, die in den 1950ern in Heimen oder bei Pflegeeltern landeten, waren oft die ältesten von mehreren Geschwistern, sagt Sorgo: "Damals nach dem Krieg konnten Eltern aus Armut vielfach nicht mehr alle ihre Kinder ernähren." Die ältesten seien dann in Heimen oder auch bei Bauern als Pflegeeltern gelandet.

Auf Bauernhöfen wie Sklaven gehalten

In Heimen gab es strukturelle Gewalt, aber auch Erzieher, die sich mit Gewalt und Missbrauch schuldig gemacht haben. Die Zustände auf Bauernhöfen waren teils katastrophal: "Sie hatten kein eigenes Bett, kein Spielzeug, kein eigenes Gewand, mussten nur arbeiten, wurden gehalten wie Sklaven. Sie haben Kinder behandelt wie ein Stück Holz."

"Die Polizei führte Kinder von den Familien ab"

In den 1960ern und 1970ern, aber auch noch in den 1980er-Jahren waren es die damals als "schwer erziehbar" titulierten Kinder, die ihren Familien abgenommen wurden, weiß Sorgo: "Das waren oft Kleinigkeiten, vielleicht haben Kinder einmal etwas gestohlen oder sie waren in der Schule auffällig, in Raufereien verwickelt. Die sind damals oft einfach von der Polizei abgeholt worden." Vielfach hätten die Kinder nicht einmal gewusst, warum sie weggekommen sind, seien völlig orientierungslos gewesen. Es kam zu Bindungsabbrüchen, erzählt Sorgo: "Viele haben ihre Geschwister dann erst viele Jahre später wieder gefunden."

Zahlungen bis zu 25.000 Euro

1100 Menschen haben sich beim Land gemeldet, um einen Anspruch auf eine Entschädigungszahlung anzumelden, 554 haben Zahlung von rund 3000 bis höchstens 25.000 Euro zuerkannt bekommen, 58,4 Prozent der anerkannten Fälle sind Männer, 41,6 Prozent Frauen. Der Großteil der Menschen, die beim Gewaltschutzzentrum anklopfen, seien über 60 Jahre und in Pension, es reiche aber bis hin zu 90-Jährigen, die als Opfer anerkannt werden wollen, aber auch 50-Jährige zählen zu den Klienten.

Stigmatisierung oft lebenslang nicht abgeschüttelt

Ein Gutachter setzt den Betrag nach eingehender Prüfung und auch Plausibilitäts-Vorprüfung durch die Clearingstelle fest. Sorgo: "Es ist eigentlich keine Entschädigung, es ist eine Anerkennung des erlittenen Unrechts in der Obhut des Landes." Man könne Opfer für das Leid nicht angemessen entschädigen. Oft habe die Stigmatisierung als Pflege- oder Heimkind diese Menschen lebenslang begleitet, sie konnten sie nie abschütteln, konnten beruflich oder auch in Beziehungen nie Tritt fassen. Viele hätten mit ihrer Identität zu kämpfen gehabt und seien ins Ausland "geflüchtet", hätten mit Namensänderungen versucht, sich eine neue Identität zu erfinden. Die Entschuldigung des Landes und die Anerkennung ihres Leids sei für diese Opfer oft das Wichtigste.