Es herrscht gute Stimmung in der WG, Anna (Anmerkung der Redaktion: Der Name wurde geändert) wirkt entspannt, ihre beiden Mitbewohner sind auch zu Hause. Vor einer Woche war das nicht der Fall, da empfing die Studentin den Handwerker, der sich um den Strom kümmern soll. Sie war allein.
Es habe nicht lange gedauert, "bis sich ein unangenehmes Gefühl aufgetan hat", beginnt die 24-Jährige zu erzählen. Schon als der Mann, den sie auf Anfang 50 schätzt, die Wohnung betritt und erste Bemerkungen macht, fühlt sich Anna unwohl.
Sexuelle Anspielungen
Er kommentiert zuerst ihr Aussehen, mustert sie von oben bis unten. Sie sehe wirklich schön aus, sagt er. Anna versucht die Situation zu umgehen, gibt dem Mann zu verstehen, dass sie sich in ihrem Zimmer für die Uni fertig machen müsse. Das zeigt nur bedingt Wirkung: "Er hat mich immer wieder zu ihm 'gelockt' und zu reden begonnen. Als ich dann neben ihm stand, sagte er zu mir, dass er aufpassen muss, wegen so einer hübschen Lady keinen Stromschlag zu bekommen. Dann müsste ich ihn Mund-zu-Mund beatmen." Er fragt die Studentin, was sie bei Dunkelheit gemeinsam machen würden, redet über intime Details aus seiner eigenen Beziehung. Und betont erneut, dass Anna so schön sei und sich nicht schminken müsse.
Anna sieht sich dieser Situation nicht gewachsen, weiß nicht, wie sie reagieren soll und fühlt sich stattdessen wie erstarrt: "Ich wusste keinen Ausweg. Was sollst du da sagen?" Eigentlich sieht sie sich als selbstbewusste Frau. In diesem Moment habe sie sich aber wie ein kleines Kind gefühlt, erzählt die Studentin. Der Mann kündigte immer wieder an, er sei jetzt dann fertig. Ein Vorwand, um mit Anna ins Gespräch zu kommen. "Aus Angst, dass er in mein Zimmer kommt, bin ich extra schnell zu ihm hin." Am Ende versucht er die Situation zu beschwichtigen: "Er versicherte sich, ob das jetzt eh nicht so schlimm gewesen sei, ob ich denn eh Spaß verstehen würde. Ich wäre ja eh so eine Liebe." Dem Mann wird bewusst, dass er eine Grenze überschritten hat, er entschuldigt sich aber nicht.
Welle an Solidarität
Den restlichen Tag trägt Anna ein Gefühl von Scham mit sich herum. "Meine Gedanken waren, ob mich andere, als Opfer sehen würden, wenn sie das wüssten", erzählt die Studentin. Die innere Unruhe bleibt, für Anna ist das keine einfache Zeit: "Ich war einfach schockiert und wusste nicht, wie ich am besten damit umgehen soll." Bis sie die Chance nutzt und ihre Erfahrungen auf Instagram teilt. Sie will wissen, ob sich andere ähnlich fühlen und was sie machen kann: "Damit habe ich eine kleine Welle losgetreten."
Anna erreichen viele Nachrichten von Frauen, die Ähnliches erfahren haben, sie bestärken und vor allem viele Tipps geben. Danach fühlt sie sich weniger hilflos, ist gleichzeitig aber auch fassungslos darüber, wie viele Frauen ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Viele trauen sich erst gar nicht allein in solche Situationen, sie sorgen dafür, dass eine zweite Person in der Wohnung ist. "In welcher Welt leben wir, in der ich als Frau einen Aufpasser brauche, wenn der Handwerker kommt?", fragt sich Anna. Einige raten ihr, zur Polizei zu gehen und die Belästigung anzuzeigen. Anna entscheidet sich dagegen. Sie ist der Meinung, dafür habe sie zu wenig in der Hand.
Die Gesetzeslage
Die aktuelle Gesetzeslage dazu legt fest, dass "verbale und nonverbale Belästigungen mit Sexualbezug ohne Körperkontakt" gerichtlich nicht strafbar sind. Nach den Gleichbehandlungsgesetzen können diese allerdings unter Diskriminierung aufgrund des Geschlechts erfasst werden. Dort wird sexuelle Belästigung als "ein der sexuellen Sphäre zugehöriges Verhalten, das die Würde einer Person beeinträchtigt oder dies bezweckt und für die betroffene Person unerwünscht, unangebracht oder anstößig ist" definiert.
Geht es um verbale Belästigung, ist die Gleichbehandlungsanwaltschaft die richtige Anlaufstelle: "Verbale Belästigung fällt natürlich unter Belästigung und die ist verboten. Es gibt mehrere Möglichkeiten, um als Betroffene dagegen vorzugehen. Wir können uns in diesem Fall zum Beispiel direkt an das Unternehmen wenden, gerechten Schadensersatz einfordern oder weitere rechtliche Schritte in die Wege leiten", so Elke Lujansky-Lammer, Leiterin und Gleichbehandlungsanwältin im Regionalbüro Graz.
Das Unternehmen entschuldigt sich als eine erste Reaktion bei Anna via E-Mail und betont, dass es für den Mitarbeiter Konsequenzen geben würde. Eine Woche nach dem Vorfall wird der Redaktion auf Nachfrage hin mitgeteilt, dass der Mann suspendiert wurde und sich aktuell nicht im Dienst befindet.
Marie Schrittwieser