Der Einstieg ins Gewerbe? Unspektakulär! Da war kein Druck, kein Menschenhandel, keine Gewalt: "Wenn es Druck gab, dann wirtschaftlichen. Daheim hatte ich Schulden, ich brauchte Geld", erzählt die gebürtige Rumänin Anna (*Name von der Redaktion geändert). So landete sie vor rund 20 Jahren in einem Bordell in Tschechien: "In den ersten Wochen fiel mir das schon wirklich sehr schwer." Denn wir reden hier nicht von "käuflicher Liebe", das wäre Irreführung. Wir reden von Sexarbeit, vom Verkauf des eigenen Körpers – und dieser Job sollte sie bald nach Graz bringen: "Eine andere Frau hat mir erzählt, hier wäre es besser, man könne mehr Geld verdienen."
Die steirische Landeshauptstadt sollte für Anna schließlich zu einem sicheren Hafen in einem hierzulande weitgehend geregelten Gewerbe werden. "Ich habe in einem Laufhaus begonnen und bin dort geblieben, bis ich vor einigen Jahren aufgehört habe."
Grazer Rotlichtszene im Umbruch
"99 Prozent meiner Gäste waren gut zu mir"
Anna ist ein Mensch, "der immer sehr auf Abstand bleibt". Sie lebte in einer Partnerschaft, hatte ein Kind, brachte es zur Betreuung oder Schule und ging zur Sexarbeit wie ins Büro. Von 9 bis 17 Uhr: "Ich habe nie am Wochenende gearbeitet, niemals nachts. Und ich hatte zu 90 Prozent Stammkunden. Manche sind 15 Jahre lang zu mir gekommen. Da wird man fast zu Freunden. Ältere Herren sind auch weggestorben. Die Gäste waren zu 99 Prozent gut zu mir – und dieses eine Prozent gibt es überall."
Die Version fürs eigene Kind: Anna war "eine Kellnerin"
Wenn Anna etwas bereut, dann das: "Ich habe meinem Kind gesagt, du musst mir immer die Wahrheit sagen. Aber ich habe es belogen, ihm erzählt, ich würde als Kellnerin arbeiten. Von meinem echten Beruf habe ich erst erzählt, als es ein Teenager war. Das war wirklich, wirklich sehr schwer ..."
Bernd Hecke