"Ortsunüblich, unerträglich und ganz massiv gesundheitsgefährdend": So wird jener Lärm vom Verschubbahnhof in Gösting beschrieben, der seit bald zwei Jahren Anrainerinnen und Anrainer im ganzen Norden quält. Nach parteiübergreifenden Versuchen für eine Lösung, dem Einschalten des Volksanwalts, einem Beitrag in der ORF-Sendung "Bürgeranwalt" und zuletzt einer Demo-Aktion haben nun mehr als hundert Betroffene mit sieben Hauptklägern eine Sammelklage eingereicht. Ausgearbeitet wurde sie von der Legal Clinic, einem Ausbildungsprogramm der Universität Graz für hoch qualifizierte, sozial engagierte Jus-Studierende unter Aufsicht und Anleitung von Anwalt Georg Eisenberger, der die Klage mit seiner Kanzlei auch formal einreichte. Ziel ist es, die ÖBB zur Unterlassung des Quietschlärms zu verpflichten. "Es geht nicht um eine finanzielle Entschädigung, sondern nur darum, dass es besser wird", stellt Eisenberger klar.
Im Text der Sammelklage, der der Kleinen Zeitung vorliegt, wird die Lärmbelastung mit einem Presslufthammer verglichen, der zusätzlich zum üblichen Umgebungslärm immer wieder und ohne Vorankündigung auftrete - das im Fall des Schienenlärms aber sogar mit einer Lautstärke von bis zu 110 Dezibel, "bis zu unglaubliche vier Mal so laut wie ein handelsüblicher Presslufthammer". Diese Lautstärke entspreche jener eines Propellerflugzeugs, das in sieben Metern Entfernung vorbeifliegt. Zudem sei das Störgeräusch nicht nur laut, sondern durch eine dominante Frequenz mit entweder 1,6 kHz oder 2,7 kHz ganz besonders unangenehm. "Es liegen Lärmspitzen vor, die früher nicht gegeben waren, die gesundheitsgefährdend und ortsunüblich sind und die ortsübliche Nutzung wesentlich beeinträchtigen", wird nochmals in der Klage festgehalten.
Der Lärm sei zudem nicht nur in Bahnhofsnähe, sondern auch viel weiter entfernt noch zu hören. Und er sei auch nicht typische oder zwingende Folge des Verschubbetriebs, "sonst hätte es dieses Geräusch schon immer gegeben". Das belegen die Studierenden einerseits mit Vergleichswerten aus einem schalltechnischen Prüfbericht der ÖBB aus dem Jahr 2009, laut dem die aktuellen Spitzenpegel um etwa vier Mal lauter als noch vor elf Jahren sind. Eine von der Legal Clinic beauftragte Vergleichsmessung am Zentralverschiebebahnhof Wien-Klederding ergab dazu Spitzenpegel von "nur" bis zu 70 Dezibel.
ÖBB identifizierte mögliche Quellen, Projekte laufen
Die ÖBB versichern weiterhin, dass man eine Lösung finden will. Dazu würden zwei große Projekte parallel laufen: Einerseits ein "Programm zur schalltechnischen Sanierung von Eisenbahnbestandsstrecken" in Abstimmung und Mitfinanzierung durch das Land Steiermark und die Stadt Graz, für das heuer eine umfassende lärmtechnische Untersuchung als Basis durchgeführt wurde. Parallel dazu würde ein Forschungsprojekt mit einem Anlagenhersteller laufen, um mögliche Maßnahmen an der sogenannten Talbremse zu identifizieren.
Die Talbremse im Bereich des Abrollberges wird laut ÖBB von Experten als eine wesentliche Quelle der Verursachung von Quietschgeräuschen gesehen, auch ein Weichenteil ("Radlenker") nördlich des Abrollberges sowie eine weitere sogenannte Gleisrichtungsbremse südlich der Talbremse konnten als mögliche Verursacher identifiziert werden. "Die derzeitigen Erkenntnisse zeigen, dass die Räder von Wagen abhängig von der Bauweise und der Beladung - durch Reibung angeregt - an den genannten Stellen des Verschiebebahnhofes die lautesten Schallquellen sind", heißt es seitens der ÖBB.
Die Bundesbahnen - die zuletzt auch immer eine veränderte Wahrnehmung durch die Lockdowns als Grund für die Zunahme der Beschwerden nicht ausgeschlossen haben - weisen aber auch darauf hin, dass ein erster Abgleich der aktuellen Messungen mit Messdaten von 2015/2016 nicht darauf hingedeutet habe, dass es 2019/2020 zu gravierenden Veränderungen der Schallentwicklung am Verschiebebahnhof Graz gekommen sei. Unterschiedliche Wahrnehmungen seien aber nachvollziehbar, weil die Verschubtätigkeit von Tag zu Tag anders sei und hier auch Faktoren wie das Wetter einfließen würden.
Talbremse soll weiter verbessert werden, Schallschutzwände geplant
Ganz konkret arbeite man in einem Drei-Stufen-Plan an Verbesserungen: Unmittelbare Veränderungen an den Haupt-Schallquellen (Talbremse, Radlenker, Gleisrichtungsbremse) seien teilweise umgesetzt. Das habe etwas gebracht - die Anzahl der Quietschgeräusche konnte laut Angaben der ÖBB dadurch bereits um die Hälfte reduziert werden. In Stufe zwei wolle man direkt an der Talbremse weitere Verbesserungen erzielen - hier sollen die Ergebnisse des Forschungsprojektes mit dem Anlagenhersteller einfließen. Diese beiden Stufen zielen auf die Reduktion von Schall-Abgabe ab und werden noch bis 2022 andauern, heißt es. In Stufe 3 seien im Sinne des Bestandslärmschutzes (Land, BMK, Gemeinden, ÖBB) sind Planungen für drei Schallschutzwände in Vorbereitung, für die aber noch Gespräche geführt werden müssten.
Wie es mit der Klage weitergeht
Die aktuelle Sammelklage kommentierte man seitens der Bundesbahnen nicht, vier Wochen hat man jedenfalls Zeit zur Beantwortung. "Beim Bahnhof handelt es sich um eine gemeinwichtige Anlage - aber wir hätten die Klage nicht eingereicht, wenn wir uns keine Chancen für die Anrainer ausrechnen würden", sagt Eisenberger.
FPÖ-Pascuttini drängt auf Lösung
„Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube“, kommentiert der Grazer FPÖ-Klubobmann und Göstinger FPÖ-Bezirksobmann Alexis Pascuttini die Ankündigungen der Bundesbahnen. "Der Lärm ist noch immer unerträglich. Seit nunmehr zwei Jahren leidet die Bevölkerung unter diesem Lärm." Er erwartet sich von Bürgermeisterin Elke Kahr (KPÖ) und Vizebürgermeisterin Judith Schwentner (Grüne) mehr Druck in dieser Sache. "Die betroffenen Menschen wollen nicht länger hingehalten werden, vielmehr braucht es rasche und wirksame Schritte", so Pascuttini: "Die ständigen Ankündigungen der ÖBB können nur mehr als Hinhaltetaktik verstanden werden."