Die selige Rosalie lebte zwischen 1787 und 1856 in Paris. Sie tröstete in den Armenvierteln Verzweifelte, pflegte Kranke und brachte Notleidenden Kleidung und Lebensmittel. Sie gründete auch soziale Einrichtungen, darunter ein Haus für mittellose Menschen. Heute ist sie Namensgeberin einer Notschlafstelle für Frauen in Graz.
Das Haus Rosalie der VinziWerke Graz steht etwas abgeschieden in der Babenbergerstraße. Seit 2004 werden hier zehn karge, aber schöne Zimmer bewohnt, von Frauen zwischen 18 und 76 Jahren, zum Teil auch mit ihren Kindern. Meist bleiben sie zwischen 14 Tagen und einem Jahr. Sie sind aus unterschiedlichen Gründen hier gelandet: Einige wurden Opfer von Gewalt, fast alle kamen durch Schicksalsschläge in schwere finanzielle Nöte. Depressionen, Alkohol oder Drogen taten ihr Übriges. Ein Dach über ihrem Kopf hätten diese Frauen ohne Rosalie nicht.
Hier im Haus sollen Frauen, denen der Boden unter den Füßen weggezogen wurde, wieder Halt finden. Sie können zur Ruhe kommen, sie haben eine Meldeadresse und Zeit, um für eine Kaution sparen zu können. Ziel ist, dass die Bewohnerinnen ihr Leben wieder in den Griff bekommen und eine eigene Wohnung beziehen können.
Armut in Österreich
Susanne Steinbrugger ist ehrenamtliche Mitarbeiterin im Haus; eine von rund 50. Nur die Leiterin Barbara Goricki-Gubo ist angestellt. Seit sechs Jahren übernimmt Steinbrugger wöchentlich einen Nachtdienst. Sie bereit alles für das Frühstück am nächsten Tag vor – den restlichen Tag gilt Selbstverpflegung. Sie sperrt um 22 Uhr das Haus ab und steht für Gespräche zur Verfügung, wie auch in Notsituationen: „Einmal wurde ich um zwei Uhr Früh aus dem Bett geklingelt. Ein Hausbesitzer suchte eine Schlafstelle für eine ihm fremde Frau, die vor seiner Tür schlief.“
Steinbrugger ist hauptberuflich Hortbetreuerin. Die meisten ihrer ehrenamtlichen Kollegen studieren oder sind schon in Pension. Die 55-Jährige schätzt die gewonnen Erfahrungen aus ihrer Arbeit mit den Bewohnerinnen im Haus Rosalie. Man bleibe am Boden. „Und man lernt, wie Armut in Österreich ausschaut. Da muss man nämlich einen zweiten Blick riskieren und hinter die Kulissen der Menschen schauen. Man sieht Armut vielen nicht an, barfuß läuft bei uns keiner durch die Gegend.“ Nur weil jemand ein Handy habe, heiße es nicht, dass Armut kein Thema sei.
Der Bedarf an Betten im Obdachlosenheim ist groß. Bei Platznot können in Akutfällen auch zwei Couches im Gemeinschaftsraum als Notschlafstelle genützt werden. So wie letzte Nacht. Eine Frau, die schon vor eineinhalb Jahren hier gelebt hatte, ist wieder gekommen. Der Spirale aus Alkohol und Depression konnte sie bisher noch nicht entkommen. Bei unserem Lokalaugenschein erzählt sie, dass sie auf die erneute Aufnahme hofft.
Das „Auf Wiedersehen“, wenn jemand auszieht, ist oft nicht für immer. Doch ein Wiedersehen abseits der Sozialeinrichtung kann Freude bereiten. Als Steinbrugger von einer ehemaligen Bewohnerin erzählt, leuchten ihre Augen: „Sie kommt mich zu Weihnachten jedes Jahr mit ihrem Kind zu Hause besuchen. Es ist schön, wenn sich jemand aus seiner Not befreien konnte.“
Thomas Kuhelnik