Ab Samstagnachmittag kann man in Graz im Rahmen eines Pilotprojekts ein in Österreich bisher unbekanntes Theaterformat erleben. Im „Lauftheater Graz“ bieten 15 Künstlerinnen eine Woche lang unweit des Jakominiplatzes, im Kunst Klub Kräftner in der Reitschulgasse, täglich von 11 bis 21 Uhr Performances, Kurzstücke, Rauminstallationen, Lesungen und Workshops – jeweils für ein Publikum von wenigen oder manchmal sogar nur einer einzigen Person. Eine ähnliche Theaterkultur gibt es in Spanien und Lateinamerika in Form des „Microteatro“. Das Microteatro war auch eine der Inspirationen für das von Carlotta Bonura, Alona Bakirova und Sabrina Stranzl ins Leben gerufene „Freundinnenkollektiv“, das nun erstmals öffentlich in Erscheinung tritt.
Ausgesprochen familienfreundlich, trotz Laufhaus-Assoziation
Der Name „Lauftheater“ ist nicht zufällig gewählt. Die Assoziation mit einschlägigen Laufhäusern kommt nicht von ungefähr. Denn auch beim „Lauftheater“ geht es um die „schnelle Befriedigung“, – in diesem Fall von kulturellen Bedürfnissen, wie Regisseurin und Autorin Alona Bakirova erklärt. Spezielles Zielpublikum sind jene Kulturinteressierten, die am Abend kaum Zeit für das reguläre Kulturangebot haben, wie etwa alleinerziehende Mütter, die ihre Kinder ins Lauftheater auch ohne Weiteres mitnehmen können. „Es gibt sehr wenig Kulturangebot, das am Tag passiert“, bedauert Carlotta Bonura, im Zweitberuf Architektin und Lehrkraft an der TU. Dort, wo es so etwas gebe, wie etwa La Strada oder das Joanneum-Angebot „Mit Baby ins Museum“, werde das auch sehr gut angenommen.
Prekäre Räume – wie die Rösselmühle oder ein Kurzwarengeschäft
Dass das Lauftheater-Projekt stattfinden kann, ist unter anderem Igor Petković zu verdanken, seines Zeichens Präsident des Kulturvereins Aporon 21, der dem Kollektiv seinen Kunst Klub Kräftner unbürokratisch zur Verfügung stellt. Seit einigen Jahren haben es sich Petković und seine Mitstreiter zur Aufgabe gemacht, durch das Bereitstellen und Bespielen von „eutopischen“ (als Gegensatz zu dystopischen), prekären Räumen die Gesellschaft und das Kulturleben in Graz zu beeinflussen. Seit gut einem Jahr ist man im Gebäude des ehemaligen Kurzwarengeschäfts Kräftner einquartiert. Mit einer programmierten Öffnungszeit von 17 bis 23 Uhr (von Dienstag bis Samstag) und seiner heimeligen Atmosphäre ist der Kunst Klub Kräftner ebenfalls bewusst auf Familienfreundlichkeit ausgelegt.
Das Lauftheater bildet den Auftakt zum dritten Festival und Kunstparcours von Aporon 21, der prekARTe 24, die heuer in Kooperation mit dem steirischen herbst mit vielen Konzerten, Ausstellungen und Diskussionsveranstaltungen im Kunst Klub Kräftner sowie in der Rösselmühle stattfindet. Während letztere ein nach wie vor im eigentlichen Sinn prekärer Standort für Kunst- und Kulturgeschehen ist, haben Petković und sein Team mit dem ehemaligen Kurzwarengeschäft und seinen auf drei Stockwerken insgesamt über 500 Quadratmeter bespielbarer Fläche ein längerfristiges Zuhause gefunden. Unterstützt werden sie nicht nur von den einschlägigen Gebietskörperschaften, in Hauseigentümerin Claudia Kräftner haben sie auch eine kunstsinnige und offen denkende Stütze gefunden.
Das Banner soll an anderen Orten wieder auftauchen
Wie es mit dem Lauftheater nach dem jetzigen Pilotversuch weitergeht, ist noch ungewiss. „Wir arbeiten in Richtung Nachhaltigkeit“, sagt Bonura. „Die Idee ist, dass das Lauftheater-Banner, das jetzt auf dem Kunst Klub Kräftner hängt, an verschiedenen Orten wieder auftauchen wird.“ Auch soll das derzeit lose organisierte „Freundinnenkollektiv“ in Zukunft eine rechtliche Form, etwa in Form eines gemeinnützigen Kunstvereins erhalten.
Andreas Stangl