Eigentlich gebe es keine Schädlinge, sagt der Schädlingsbekämpfer, der zur Behebung des Ameisenproblems hier im Haus beauftragt wurde. Es gebe nur Nützlinge, fügt er hinzu. In der Natur sei alles im Gleichgewicht; Störfaktor sind wir. Ich berichte kurz darüber, wie an einem der ersten warmen Vormittage mehrere Ameisenstraßen plötzlich auf der Terrasse wie zu einer Großschlacht loszogen – und was bereits unternommen wurde, nämlich das Übliche: Ameisenfalle und Ameisengift aus der Drogerie. Tja, sagt er. Damit komme man nicht sehr weit. Man müsse ganz anders vorgehen.
Der Schädlingsbekämpfer macht sich ans Werk, fängt an, winzige Tropfen Lockmittel in den Ecken der Wohnung zu setzen. Er wirkt konzentriert, geht offenbar einer ausgefeilten Strategie nach. Das Mittel, das sich in seinen Spritzen befindet, sei auch Gift, sagt er, enthalte aber einen stärkeren Köder, den die Ameisen in ihr Nest zurücktrügen. Irgendwo in der Gegend würde sich die Ameisenkönigin aufhalten: Alles hänge nun von ihr ab, sie entscheide, ob sie ihre Arbeiterinnen zurückbefiehlt. Man müsse abwarten.
Der Schloßberg ist seit 1976 ein Naturschutzgebiet; an seinen bewaldeten Felsen sind seltene Vögel und allerlei Tiere zu Hause. Eichhörnchen rennen die Baumzweige entlang, an sonnigen Tagen kommen Mauereidechsen und Schlangen heraus und sonnen sich auf den warmen Steinen. Es gibt auch Wildkatzen, Füchse, Schakale; nachts hört man die Dachse und Marder im Gestrüpp rascheln. Hier am Berg tummeln sich Eulen, Turmfalken, Amseln, Blaumeisen, Nebelkrähen, Halsbandschnäpper, Waldkäuze und über 286 Käferarten – viele von ihnen äußerst selten – sowie die Efeu-Seiden-Biene, die im perfekten Einklang mit dem üppigen Efeubestand lebt. Bringt also eine Ameisenbekämpfung – eigentlich ein Ameisenmassenmord – das fragile Gleichgewicht des Ökosystems hier oben am Berg ins Wanken?
Der Schädlingsbekämpfer ist ein Schädlings-Zenmeister
Wir sind doch mitten im Wald, erzähle ich dem Schädlingsbekämpfer, der es natürlich besser weiß als ich. Es ist ganz natürlich, dass man mit allerlei Tieren in Kontakt kommt. Wenn ich Buddhistin wäre, hätte ich Abermillionen Insektenseelen auf dem Gewissen! Es stellt sich heraus, dass der Schädlingsbekämpfer ein Minimalist ist, ein Schädlings-Zenmeister. Man wende stets das absolute Minimum an, betont er. Es gehe nicht darum, eine Kolonie auszurotten. Die Ameisen seien wie die Menschen; sie erforschen ihre Umgebung, erobern Territorien, bilden Armeen und bekämpfen einander. Wenn die Königin aber merke, dass der Gegner stärker sei, gebe sie den Befehl für den Rückzug.
Er erzählt weiter über Wanzen, Motten, Spinnen und Käfer, doziert über ihre Lebensphasen durch die vier Jahreszeiten, erklärt ganze Insektenlebenszyklen. Jede Spezies erfülle eine wichtige Funktion in der Natur; dafür töte die Schädlingsbekämpfung der Agrarindustrie auch Insekten, die wir dringend brauchen. Ob ich wüsste, dass die bayerischen Bauern als Beitrag für Artenvielfalt und Umweltschutz verwilderte Blühstreifen zwischen den Äckern anlegen, damit die Insekten einen Rückzugsort haben, sich regenerieren können? In dieser Hinsicht, meint er, hinke Österreich hinterher, wir sollten hier deutlich mehr für die Biodiversität tun. Wie ein guter Lehrer stellt er zwischendurch Fragen: Ist die Motte ein Schädling oder ein Nützling? Ein Nützling, antworte ich artig. Er will sicher sein, dass ich ihn auch verstanden habe.
Trotz Matriarchat sind die Ameisen nicht sympathisch
Ich frage nach der Ameisenkönigin; ich freue mich immer, Matriarchate im Tierreich zu entdecken, muss aber gestehen, dass mir Ameisen nicht sehr sympathisch sind. Später lese ich mit Erstaunen, dass manche Ameisenarten eine Form des Sozialparasitismus praktizieren, bei der konkurrierende Königinnen getötet werden und ihre Brut als Sklavenvolk herangezogen wird. Es finden auch Raubzüge statt, um ständig neue Sklaven ins Nest zu holen. Die Königin umgibt sich mit Arbeiterinnen und Soldatinnen und kann bis zu 20 Jahre alt werden; sie wird einmal im Leben begattet und bewahrt den Vorrat an Sperma in Samentaschen auf. Die Männchen dienen alleine zu ihrer Befruchtung, danach sterben sie.
Klingt alles nicht sehr romantisch. Ich gebe zu: Ich mag Spinnen lieber, wovon es auch viele hier im Schlössl gibt – unter anderem die Tapezierspinne und die Vogelspinne, eine Rarität in der Steiermark. Sie essen auch gerne Ameisen, und so grüße ich sie und lasse sie weitgehend in Ruhe – man könnte sagen, ich lebe in einer Art Symbiose mit ihnen.
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Andrea Scrima, Grazer Stadtschreiberin