Was 2014 mit der Einrichtung einer 14-köpfigen Historikerkommission begann, sorgt demnächst dafür, dass die Grazer Stadtpläne umgeschrieben werden. Die Kernstockgasse im Bezirk Gries, benannt nach dem umstrittenen Dichter Ottokar Kernstock, aus dessen Feder unter anderem das Hakenkreuzlied stammt, erhält mit 1. Februar einen neuen Namen. Der kurze Straßenzug wird in Zukunft Maria-Stromberger-Gasse heißen. Die Stadt hält damit die Erinnerung an eine Frau hoch, die als Krankenschwester in Auschwitz Widerstand leistete und Leben rettete.
„Verantwortung für den Umgang mit Geschichte“
„Mit der Umbenennung setzen wir ein sichtbares Zeichen, wen wir ehren wollen, und übernehmen als Menschenrechtsstadt Verantwortung für den Umgang mit unserer Geschichte“, unterstreicht in dem Zusammenhang Vizebürgermeisterin Judith Schwentner (Grüne). Nicht nur die politischen Reaktionen auf das Vorhaben waren gemischt. Eine Gruppe von Anrainern machte in letzter Minute gegen die Umbenennung mobil. Mimoza Halili, Inhaberin des Restaurants „Due Amici“, zählt zu jenen, die keine Freude damit haben: „Wir haben darum gekämpft, dass wir uns an diesem schwierigen Standort einen Namen machen. Wenn sich die Adresse ändert, finden uns manche nicht“, fürchtet sie. Zudem sei die Adressänderung mit Kosten verbunden, Zustellautos müssen etwa neu beklebt werden. Alois Kölbl, als Pfarrer von St. Andrä unmittelbarer Anrainer, hätte es gern gesehen, dass die bestehende Andrägasse in die Kernstockgasse weitergezogen wird. „Das hätte die Grätzlentwicklung unterstützt. Ich halte es aber für richtig, dass man in Graz die Erinnerung an Frau Stromberger hochhält“, erklärt Kölbl.
Neuer Meldezettel kommt automatisch
Was auf die Anrainer zukommt, weiß Manuela Wutte (Grüne), die sich seit Jahren dafür starkmacht, dass die Stadt dem Bericht der Historiker Konsequenzen folgen lässt: Wer in der Kernstockgasse gemeldet ist, erhält automatisch einen neuen Meldezettel zugeschickt. Jeder Haushalt erhält als eine Art Aufwandsentschädigung Graz-Gutscheine in der Höhe von 30 Euro. Zumindest für sechs Monate soll laut Wutte garantiert sein, dass die Post zugestellt wird, egal ob der alte oder der neue Straßenname draufsteht. Unternehmer werden mit 300 Euro unterstützt.
Weitere Umbenennungen geplant
Geht es nach der Rathauskoalition, wird die Kernstockgasse nicht die letzte Straße sein, die einen neuen Namen erhält. Fünf weitere hat man bereits auf der Agenda. Damit nimmt ein Prozess Fahrt auf, der nur langsam in Gang kam. 2017 stellte die Historikerkommission ihren tausendseitigen Bericht zu den Straßennamen fertig. Man arbeitete darin die Namen von 82 historisch bedenklichen Personen und 20 höchst bedenklichen Personen heraus. Eine Handlungsempfehlung enthielt der Bericht aber nicht.
Die schwarz-blaue Koalition unter Siegfried Nagl entschied sich gegen Umbenennungen. Dafür begann man überhaupt alle Straßen, die nach Personen benannt sind, mit einer Zusatztafel zu versehen, die biografische Daten enthält. Die rot-grün-rote Koalition änderte in der Frage den Kurs, die lautesten Proteste dagegen kamen und kommen von FPÖ und Wirtschaftskammer. 2022 beschloss der Gemeinderat die Umbenennung der ersten drei Straßen. Die Max-Mell-Allee am Rosenhain und die Dr. Karl-Muck-Anlage wurden dann 2023 umbenannt. Die Kernstockgasse ist nun die dritte Straße, die einen neuen Namen erhält.
Bereits im Jänner 2023 wurde aus der Max-Mell-Allee im Bezirk Geidorf die Aigner-Rollett-Allee. Oktavia Aigner-Rollett legte 1900 als Externistin am heutigen Akademischen Gymnasium die Matura ab, wo Schülerinnen zu dem Zeitpunkt noch nicht zugelassen waren. Als eine der ersten Frauen nahm sie in Graz ein Medizinstudium in Angriff, bis 1900 war dieses Studium den Männern vorbehalten. Aigner-Rollett führte als erste Ärztin in der Steiermark ab 1907 eine eigene Praxis in der Grazer Humboldtstraße. Sie starb 1959.
Ebenfalls seit Anfang 2023 erinnert der Platz zwischen der Grazer Oper und dem Next Liberty an Ella Flesch. Davor war der Platz nach Dr. Karl Muck benannt, der sich in der NS-Zeit als Dirigent unter anderem für eine judenfreie Besetzung der Bayreuther Festspiele eingesetzt hatte. Flesch war eine international gefeierte Opernsängerin. Als Jüdin floh sie 1933 von Deutschland nach Österreich. Von 1934 bis 1937 war sie an der Grazer Oper engagiert. Nach dem Anschluss 1938 fand Flesch in der Schweiz und in Südamerika Zuflucht. Als Sängerin feierte sie in dieser Zeit unter anderem Erfolge an der „Met“ in New York City.