Nichts geht mehr. So schimpfen seit Wochen Autofahrerinnen und Autofahrer, die in Graz unterwegs sind. Man staue sich von Baustelle zu Baustelle. Tatsächlich sind Bagger und Presslufthammer in der Landeshauptstadt auffällig aktiv: Mehrere Großbaustellen machen deutlich: Die Grazer Straßen werden gerade massiv umgebaut.
Das Thema ist so präsent, dass es längst ein politischer Aufreger ist. Die Koalition aus KPÖ, Grünen und SPÖ stellen in ihrer Verkehrspolitik Fußgänger, Radfahrer und den öffentlichen Verkehr an erste Stelle - und verteilen oft im Gleichklang mit dem Land den Platz auf den Straßen um. Dort, wo früher Auto parken konnten, werden bald Radfahrer eine eigene, oft blau markierte Spur haben oder Bäume in den Himmel wachsen.
Für ÖVP und KFG ein "ideologisch motivierter Parkplatzraub" und "Kampf gegen das Auto". Mehrmals die Woche macht die Opposition gegen das empfundene "Baustellenchaos" mobil, im Visier ist dabei vor allem die für den Verkehr verantwortliche Vizebürgermeisterin Judith Schwentner (Grüne): Sie würde, so der Vorwurf, bewusst so viele Baustellen forcieren, um den Leuten das Autofahren zu verleiden.
Das weist Schwentner zurück, vielmehr gehe es darum, die Stadt mobiler und klimagerechter zu gestalten - und dafür habe "der Ausbau des Öffentlichen Verkehrs Priorität, der Hand in Hand mit dem Ausbau der aktiven Mobilität und der Attraktivierung des öffentlichen Raums gehen muss".
Was die Opposition in ihrer Kritik außen vor lässt: In Wahrheit setzt die Koalition das fort, was unter Schwarz-Blau und Ex-Bürgermeister Siegfried Nagl (ÖVP) auf den Weg gebracht wurde. Ein Überblick über die aktuellen Großbaustelle.
Neutorgasse: Die Mutter aller Baustellen
Es ist die größte Baustelle im Herzen der Stadt: Ab Ende 2025 können Straßenbahnen durch die Neutor- und Belgiergasse fahren, um das Öffi-Nadelöhr Herrengasse zu entlasten, Fußgänger bekommen mehr und Radfahrer erstmals einen Platz. Dafür ist seit März die gesamte Neutorgasse für den Verkehr gesperrt, Teile der Radetzkystraße ebenfalls, auch der südliche Teil des Jakominiplatzes ist aktuell aufgegraben. Die Baustelle ist eine enorme Belastung für die angrenzenden Unternehmen, die auf Laufkundschaft angewiesen sind - eine ausreichende Baustellenförderung hat man verabsäumt.
Die Sperre der Neutorgasse stört Autofahrerinnen und Autofahrer weniger, es ist vor allem die Verkehrslösung am Joanneumring, die zu Spitzenzeiten den Autoverkehr lahmlegt. Anstelle der drei Fahrspuren in eine Richtung haben Autofahrer derzeit nur eine zur Verfügung - weil ihnen die Busse der Graz-Linien am Ring entgegenkommen. Bis zum 24. November wird man sich dort noch gedulden müssen, rechtzeitig zum Advent- und Weihnachtsgeschäft ist dann der Abschnitt Radetzkystraße fertig und der Ring kann rückgebaut werden. Die Neutorgasse selbst dauert noch bis 2024, wo dann auch bei der Tegetthoff-Brücke und der Belgiergasse begonnen wird, sie fit für die Straßenbahn zu machen. Kosten des Gesamtprojektes: 37,5 Millionen Euro. Debatten gibt es, ob man die Neutorgasse für den durchfahrenden Autoverkehr gesperrt lassen sollte - Schwentner legt sich hier noch nicht fest.
Triester Straße: Zwei Gleise für die Straßenbahn
Puntigam ist einer der am stärksten wachsenden Bezirke in Graz, entsprechend muss die Kapazität für die Straßenbahn der Linie 5 ausgebaut werden. Zwischen Zentralfriedhof und Brauquartier wird derzeit das einspurige Nadelöhr beseitigt und zweigleisig. Deshalb rückt die vierspurige Triester Straße etwas Richtung Westen und für die Straßenbahn muss ab Zentralfriedhof ein Ersatzbus bis zur Endstation übernehmen. Fertigstellung November 2024 (!), Kosten: 24 Millionen Euro.
Linie 7, bitte wenden
Die Endstation der Linie 7 in Eggenberg - an der Grenze zu Wetzelsdorf - wird ebenfalls erweitert, es wird zwei Gleisbögen nebeneinander geben. Darüber hinaus werden Bäume gepflanzt, Gehsteige neu errichtet, Autoparkplätze gestrichen. Öffi-Fahrer müssen zwischen Laudongasse und Endstation mit dem Bus fahren. Bis 10. September, wenn rechtzeitig zu Schulbeginn die Straßenbahn wieder ihre vollen Runden zieht. Kosten: 4,8 Millionen Euro.
Platz für Radfahrer in der Heinrichstraße
Ist es mehr als eine simple Sanierung der Straße? Inhaltlich ja, rechtlich ist es gerade umstritten. Das Land saniert jedenfalls die Heinrichstraße zwischen Geidorfplatz und Mozartgasse - und nach der Sanierung sollen rund 50 Autoparkplätze weniger und dafür erstmals zwei blau markierte Radspuren vorhanden sein. Es ist ein Projekt im Rahmen der Radoffensive von Stadt und Land und eine wichtige Rad-Achse zur Karl-Franzens-Uni.
Hohe Staugefahr: St. Peter Gürtel/Liebenauer Gürtel
Im Süden von Graz wird der Straßenraum umgestaltet, werden Kreuzungen umgebaut, Grundstückszufahrten sowie ein Geh- und Radweg errichtet. Es kommt immer wieder zu Spurenzusammen- und -umlegungen, daher gibt es in den Spitzenzeiten hohe Staugefahr. Bis Jahresende soll bei dieser Landesbaustelle alles fertig sein.
Schleichwege durch Baustellen abgeschnitten
Frisch aufgegraben präsentieren sich abschnittsweise die Klosterwies- und Mozartgasse. Beides beliebte Schleichwege für Autofahrer. In beiden Fällen werden Kanal und Wasserleitungen saniert, die Totalsperre geht jeweils bis 17. November. Dazu kommen im Laufe des Sommers eine Vielzahl an kleineren Baustellen mit Postenregelung, die wohl auch in der Morgenspitze für Verzögerungen im Autoverkehr sorgen können: etwa in der Andritzer Reichsstraße, Herrgottwiesgasse und Liebenauer Hauptstraße.
Ab August: Radoffensive in der Petersgasse
Das nächste Projekt im Zuge der Radoffensive: Die Petersgasse bekommt - in zwei Bauabschnitten - ab August je eigene, blau markierte Radstreifen. Dafür fallen insgesamt rund 85 Autoparkplätze weg. Damit soll eine leistungsfähige Radverbindung von der TU auf den Inffeldgründen Richtung Innenstadt entstehen. Abschnitt eins (Inffeld- bis Moserhofgasse) soll bis Oktober fertig sein, Abschnitt zwei (Moserhofgasse bis Waltendorfer Gürtel) folgt im Frühjahr 2024.
Zwei umstrittene Baustellen bereits abgeschlossen
Zwei der politisch umstrittensten Baustellen sind heuer bereits abgewickelt: Die Marburger Straße wurde zur ersten echten Fahrradstraße umfunktioniert, Autofahrer dürfen dort nicht mehr durchfahren, Anrainer aber sehr wohl zu- und abfahren. Die zweite ist die Umwandlung der Zinzendorfgasse im Uni-Viertel zu einer Begegnungszone: Dort wurden gut 30 Autoparkplätze gestrichen, dafür wachsen jetzt Bäume und Blühpflanzen in Trögen, Sitzgelegenheit inklusive. Manche Anrainer haben den Wegfall der Autoparkplätze kritisiert und fürchten eine laute Partymeile. Die Stadt wird die Umgestaltung nach einem Jahr evaluieren.
Ist das alles zu viel an Bagger und Presslufthammer? "Es ist viel, aber wir sind von einer Rekordzahl an Baustellen weit weg", heißt es aus dem Büro Schwentner.